Weinzirl 04 - Gottesfurcht
deinem
Vater und mir?«
Es bedurfte keiner
Antwort.
»Karli«, sie hatte
sein Gesicht in ihre Hände genommen und zwang ihn, sie anzusehen. »Karli, das
verstehst du nicht. Du bist so jung. Du dummer Bub, du.«
Als sie versuchte,
ihn auf den Mund zu küssen, riss er sich los und rannte. Rannte Treppen
hinunter, durch die Tür, über den Fußweg. Er zerriss sich am Tor sein Hemd. Er
rannte nach Berg hinauf und vorbei an all den Höfen. Hinunter Richtung Etting,
bis seine Muskeln versagten und sein Meer aus Tränen nur noch größer wurde.
Nein, das verstand er nicht. Er war kein dummer Bub. Er liebte. Nein, er hatte
geliebt, und nun begann er zu hassen.
Die nächsten Wochen
folgte er ihnen, beobachtete sie in schmerzlichster Selbstverachtung. Er
beobachtete, wie er sie am Berger Kreuz nahm, im fahlen Licht des abnehmenden
Mondes. Er beobachtete sie noch zweimal unter den martialischen Rohren dieser
dunklen Heizungsunterwelt. Er beobachtete, wie sie sich liebten. Sich liebten?
Sah so Liebe aus? Er quälte sich mit jedem Mal mehr. Karli lernte, dass die
schlimmsten Schmerzen die sind, die man sich selbst zufügt.
Karli war diesen
Sommer kaum an der Ach gewesen, da wo sie immer badeten. Wo Hansl immer
irgendwo ein Bier »organisiert« hatte. Wo sie sangen und ihre Zukunft
erträumten. Karli hatte keine Zukunft mehr. Noch war es Mitte August, und doch
ging es auf den Herbst zu, unmerklich erst, aber doch so, dass die kalte
Feuchtigkeit schon gegen sieben aus den Filzböden kroch. Karli ersehnte den
Herbst, er ersehnte den September, wo sie abreisen würden. Es war einer dieser
ersten kühlen Abende, als er dem Vater wieder folgte. Aber er ging nicht ins
Mütterheim, es zog ihn zum Krenn. Karlis Vater war allein, bis ein Mann
auftauchte. Er wirkte gealtert vor der Zeit. Er lief schon ein wenig gebückt,
obgleich er doch auch nur Mitte vierzig war. Es war Schorschis Vater. Karlis
Vater stieß ein »Habe die Ehre« aus, und das betonte er so widerwärtig, so
sarkastisch, dass Karli zusammenzuckte. Wieso ließ sich Schorschis Vater das
gefallen?
»Na, Kölbl, bei dir
steht das Mittelmeer?«, hörte Karli seinen Vater sagen.
Schorschis Vater
konnte damit genauso wenig anfangen wie Karli.
»Na, du hast keine
Mittel mehr! Haha.« Karlis Vater wollte sich ausschütten vor Lachen.
Schorschis Vater
bewahrte immer noch eine eiserne Ruhe. Oder es war einfach Resignation. Jene
Resignation über ein Leben, in dem es nichts mehr zu verlieren gab. Wo
Anfechtungen und Spott abtropften, weil das alles schon einmal da gewesen war.
Nur viel schlimmer. Viele Male viel schlimmer. Und genau das schien Karlis
Vater zu spüren, die Tatsache, dass sein Gegenüber nichts mehr zu verlieren
hatte. Er schob ihm ein dickes Geldbündel hinüber.
»Da, das wolltest du
doch, du dreckiger, kleiner Erpresser.«
Schorschis Vater
nahm das Geld. »Laberbauer, du bist nicht unverwundbar. Mich und mein Schweigen
magst du gekauft haben, aber was machst du mit ihr? Glaubst du wirklich, sie
reist einfach so ab? Laberbauer, es trifft jeden. Manche spät, aber es trifft
sie.«
»Kölbl! Das lass
meine Sorge sein. Die Kleine wird mir keinen Ärger machen. Mir nicht. Dafür
sorge ich schon.«
Ja, sein Vater
sorgte immer für alles. Aufsässige Knechte hatte er verprügelt. Aufsässige
Mägde hatte er abends in die Tenne geholt. Als kleiner Bub hatte Karli manchmal
Schreie von Frauen gehört. Verzweifelt, flehend, sie hatten um Hilfe gefleht.
Heute wusste er, welche Ursache diese Schreie gehabt hatten. Heute wusste er,
warum seine Mutter so oft geweint hatte.
*
Das Bild
ließ Gerhard nicht los. Karl Laberbauer sah auf dem Bild so jung aus und
verletzlich, wie er da abgelichtet war mit seinem bewusst aufgesetzten
grimmigen Blick. Und das Zauberwesen? Gerhard versuchte, im Bild etwas über
diese junge Schönheit zu ergründen. Sie war zweifellos überirdisch schön, aber
mit ihren Augen stimmte etwas nicht. Ihr Blick war – leer. Los, Bild, erzähle
mir, was damals vorgefallen ist! Gerhard starrte noch immer das Stück Papier
an. Über eines aber war er sich absolut sicher. Ein Sechzehnjähriger hätte
niemals einfach so ein Verhältnis mit einer so schönen Frau anfangen können. Er
erinnerte sich an seine Jugend. Je hübscher die Mädchen gewesen waren, desto
schwerer war es ihm gefallen, sie anzusprechen. Und mit sechzehn hatte er noch
Fußball und Eishockey gespielt, vielleicht mal bei einer Flaschendreh-Party
geknutscht, aber Sex? Niemals! Und er war
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