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Weinzirl 04 - Gottesfurcht

Weinzirl 04 - Gottesfurcht

Titel: Weinzirl 04 - Gottesfurcht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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war? Was, wenn er statt des
nächsten Opfers der Täter war? Was, wenn er schon vorher zum Täter geworden
war? Gerhard war sich fast sicher, dass er den Vater ins Silo gestoßen hatte.
Und er war sich noch sicherer, dass er das nicht wirklich wissen wollte.
    Er fuhr wie in
Trance durch Schechen und eine Ansiedlung, die Sanimoor hieß. Und jäh, sodass
er fast das Steuer verriss, fiel ihm etwas ein. Er ließ seinen Bus am Waldrand
in einer Ausbuchtung ausrollen und rief noch mal bei Albrechts an.
    »Was wurde
eigentlich aus dem Pfarrer?!«
    »Er ist in den
Sechzigern aus dem Dorf verschwunden. Er hatte ein Alkoholproblem. Man hat ihm
nahe gelegt, zu gehen. Er war dann plötzlich weg.«
    »Einfach so? Der
Mann, der ein ganzes Dorf im Griff gehabt hat?« Gerhards Stimme kippte.
    »Ja, mehr und mehr
formierte sich Widerstand.«
    »Widerstand?«
    »Die angesehenen
Familien befanden, es sei kein Zustand mehr für das Dorf. Sie sagten, es ginge
nicht an, dass ein Pfarrer säuft wie ein Bürstenbinder. Und als er dann wirklich
so getrunken hat, dass er die Messen versäumte und Hochzeiten verschlief, hatte
man einen guten Grund, ihn loszuwerden.«
    »Kein Zustand mehr?
Und sie befanden das so einfach? Bloß weil er soff? Die haben doch sicher alle
gesoffen.«
    »Ja, aber er hat etwas
Unglaubliches getan«
    »Ja?«
    »Er hatte vor Jahren
heimlich geheiratet, standesamtlich irgendwo in Württemberg draußen. So was
passiert wohl immer mal wieder. Auch dass Pfarrer das geheim halten. Diese
Verbindung hat wohl nicht lange bestanden, und er hat den Fauxpas natürlich
geheim gehalten und einfach ganz normal seinen Dienst absolviert. Aber
irgendjemand hat das damals rausgefunden und ihn bei der Kirche verpfiffen.
Mein Vater war einer der Rädelsführer und andere reiche Berger und Hauser. Die
Kirche hat ihn natürlich sofort suspendiert.«
    Das saubere Dorf!
Die Dorfseele, die gesunde Volksseele, die ausgerechnet in jenen schlummerte,
die ihn vorher gestützt und von ihm profitiert hatten. Der Laberbauer, der
selbst soff, prangerte ausgerechnet den Pfarrer an? Er, der wahrscheinlich
diese Magda Alsbeck geschwängert und umgebracht hatte! Gerhard war so
angewidert.
    »Damit ich Sie jetzt
richtig verstehe: Er war einfach so weg?«
    »Ja, eines Tages –
ich weiß das, weil eine Tante von mir bei ihm Haushälterin war – war er weg.
Sie kam in der Frühe, und da war das Auto weg und sein Gepäck.«
    »Ein Auto hatte er
auch?«
    »Ja, eine Isetta.«
    »Aha!« Mehr konnte
Gerhard nicht sagen. Nicht mehr als dieses gedehnte fassungslose Aha. So war
das also – wie schnell wurden Günstlinge zur Persona non grata! Da war sie
wieder, die christliche Nächstenliebe. Das devote Dorf, das rückwärts
katzbuckelnd den Hut vor dem Herrn Pfarrer gezogen hatte, hatte begonnen, sich
aufzurichten zu gerader Festigkeit. Mit zunehmender Schwäche des Pfarrers
erstarkte das Dorf. Hätte man nicht Mitleid haben müssen mit dem Mann, mit dem
man doch jahrelang gezecht, geprasst, gekartelt, schwadroniert und intrigiert
hatte? Heute nannte man es Mobbing, wenn Kirchengemeinderäte ihre Pfarrer
wegmobbten. Die Gründe waren heute andere als früher. Heute waren diese
katholischen Seelen und mahnenden Gewissen solcher Dörfer vielleicht nicht
einverstanden damit, dass der Pfarrer zu viel administrative Aufgaben an den
Pfarrgemeinderat abgab. Heute verbrämte man seine Antipathien geschickter, aber
im Kern wiederholte sich das Spiel, ein böses Spiel. Ein
Alle-gegen-einen-Spiel. Hatte man das nicht schon als Kind gelernt, dass so was
unfair war? Das Leben ist nicht fair. All diese Taten unter dem Deckmantel, nur
das Gute zu wollen und doch das Fieseste zu tun. Gerhard versuchte, den
Gesprächsfaden wiederzufinden.
    »Und wann ist der
Pfarrer verschwunden?«
    »1967.«
    Gerhard schluckte.
»1967, kurz nach dem Tod Ihres Vaters?«
    »Ja, ungefähr eine
Woche später. Es gab schon einen Übergangspfarrer. Der wohnte in Weilheim.
Unserer durfte die Beerdigung für meinen Vater ja nicht mehr abhalten, er
sollte aus dem Pfarrhaus ausziehen. Das zog sich hin. Aber er war ja
suspendiert, er musste raus. Und dann kam er auf die Leich und war sturzbetrunken.
Es war grauenhaft und unwürdig.«
    »Sagen Sie, diese
Tante, die Haushälterin war, die lebt nicht noch zufällig?«
    »Nein. Herr
Weinzirl, entschuldigen Sie mich jetzt bitte. Ich muss unbedingt auspacken.«
Sie hatte aufgelegt.
    Gerhard saß in
seinem Bus und im Licht seiner Scheinwerfer, die, altersschwach

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