Weiß wie Schnee, rot wie Blut, gruen vor Neid
stahlen.
»Wir lassen nicht zu, dass dir jemand was antut«, sagte JamieTim, als könne er Gedanken lesen, und umarmte mich. »Einer von uns wird von jetzt an immer bei dir sein und auf dich aufpassen. Das hätten wir schon vorher tun müssen, denn eigentlich war ja klar, dass so etwas passieren würde.«
»Warum seid ihr nur alle so lieb zu mir? Ihr kennt mich doch erst seit Kurzem«, schniefte ich – und dann brachen alle Dämme. Ich vergrub den Kopf tief in meinen Händen und heulte los. Tränen strömten über meine Wangen und meine Nase lief. Ein paarmal versuchte ich, mich zusammenzureißen, doch immer, wenn ich gerade dachte, mich wieder gefasst zu haben, schüttelte mich ein neuer Weinkrampf. JamieTim eilte ins Bad, holte eine Schachtel Kleenex und stellte sie vor mich auf den Tisch. Er streichelte mir kurz über den Rücken, dann ging er zum Herd und ließ kaltes Wasser über die weich gekochten Eier laufen. Als Profikoch ließ er sich in diesen Dingen nicht beirren.
Ich war ihm dankbar dafür. Erstens war mir mein Ausbruch peinlich und zweitens hatte ich jetzt ein Stück Normalität dringend nötig – und wenn es nur gekochte Eier waren.
»Was hat Zuneigung mit der Frage zu tun, wie lange man jemanden kennt?«, beantwortete er meine Frage, als ich mich schließlich beruhigt hatte. »Nimm es einfach, wie es ist. Du bist sehr liebenswert, weißt du das denn nicht? Oder hat deine Stiefmutter dir eingeredet, dass du es nicht wert bist, dass man sich für dich einsetzt?«
Ich schluckte und dachte einen Moment nach. JamieTim hatte recht. Seit dem ersten Tag unserer Begegnung hatte ich in dem Gefühl gelebt, ein Störfaktor zu sein. Bella hatte alles dafür getan, mir zu zeigen, dass ich in ihrem Haus nur ein geduldeter Gast war. Auch die Tatsache, dass sie mich im Alter von zehn Jahren adoptiert hatte, hatte unser Verhältnis nicht verbessert.
»Ein bisschen retro, wenn ich das mal so sagen darf, aber lass es dir trotzdem schmecken«, schmunzelte JamieTim und stellte die Eier im Glas vor mich hin. »Wenn du jetzt allerdings auch noch Appetit auf Toast Hawaii oder einen Käseigel hast, muss ich passen!«
Ich lächelte gequält und schaute auf meine Eier. Vorhin hatte ich solche Lust darauf gehabt, doch nun kämpfte ich mit einem starken Würgereflex. Die Nachricht meines Vaters schnürte mir den Hals zu und verkrampfte meinen Magen.
JamieTim setzte sich gegenüber, bestrich eine Scheibe Knäckebrot mit Magerquark und sah mich ernst an. »Ist irgendetwas passiert, seit du im Bad warst? Vorhin ging es dir doch noch einigermaßen gut.«
Ich schob den Toast beiseite und umklammerte meinen Kaffeebecher. Dann erzählte ich JamieTim von der E-Mail meines Vaters.
»Scheiße!«, sagte er.
»Ja, Scheiße!«, antwortete ich.
Danach schwiegen wir beide.
»Und nun?«
»Nun muss ich wohl wirklich zur Polizei gehen. Zurück zu Bella kann ich nicht, mein Vater schippert irgendwo in der Arktis herum, meine Großeltern leben nicht mehr… bleibt mir wohl wirklich nichts anderes übrig. Ich hoffe nur, die glauben mir und befördern mich nicht auf dem direkten Weg zurück nach Langenhorn!«
»Ich komme mit. Vielleicht wirkt es glaubwürdiger, wenn ich bezeuge, dass du Opfer eines Attentats geworden bist. Außerdem brauchst du denen nur deine Würgemale am Hals zu zeigen, dann wissen sie eh, was Sache ist.«
Sosehr ich mich auch darum bemühte, mich mit dieser Idee anzufreunden, es gelang mir nicht. Die Vorstellung, auf das Revier zu gehen und diese ungeheuerliche Geschichte zu erzählen, widerstrebte mir zutiefst. Nein, das Ganze war zu riskant.
»Und wenn ich erst einmal bei der Polizei anrufe, um vorzufühlen, wie die dort reagieren?«, schlug ich vor und überlegte, wie man die Rufnummernunterdrückung meines Handys aktivierte.
JamieTim nickte bedächtig. »Klar, das wäre eine Möglichkeit. Auch wenn ich glaube, dass sie dich bitten werden, persönlich vorbeizukommen. Aber probieren kannst du es ja. Ich bring dir mal eben die Gelben Seiten.«
Mit zitternden Händen gab ich die Telefonnummer der Polizeiwache ein und ließ mich zu einer Beamtin durchstellen. Ich sagte, mein Name sei Sabine Hartmann, und erzählte, was Bella mir angetan hatte. Am anderen Ende der Leitung war es für einen kurzen Moment still.
»Wie alt sind Sie, Frau Hartmann, und wo wohnen Sie?«, wollte die Polizistin wissen und mir wurde abwechselnd heiß und kalt.
»Siebzehn«, antwortete ich leise.
»Was sagt ihr Vater denn zu dieser
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