Weiß wie Schnee, rot wie Blut, gruen vor Neid
verspürte sie den dringenden Wunsch nach einer Dusche. Sie wollte die Erinnerung an die vergangenen Stunden so schnell wie möglich loswerden.
Wer hätte gedacht, dass sie zu so etwas fähig wäre?!
Während sie sich mit kostbarem, nach Orchideen und Patschuli duftendem Gel einschäumte, versuchte sie, Sarahs Gesicht zu verdrängen, das ihr immer wieder vor Augen trat. Der erschrockene Blick, als ihr klar wurde, dass es diesmal kein Entrinnen gab. Dass sie diesmal sterben musste, ermordet durch die Hand der eigenen Stiefmutter. Dass es nichts nützen würde, sich zu wehren, trotz aller Kraft und Energie, mit der sie sich widersetzte.
Von Minute zu Minute fühlte die Frau sich besser. Sie hatte getan, was getan werden musste. Das Mädchen hatte es nicht anders verdient.
Nachdem sie sich abgetrocknet, eingecremt und in einen flauschigen Bademantel gehüllt hatte, ging sie hinunter in ihr Spiegelzimmer. Endlich würde sie wieder den Satz hören, auf den sie so lange gewartet hatte.
Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die Schönste im ganzen Land?
Sie betrachtete sich und war zufrieden mit ihrem Anblick. Das blonde Haar kringelte sich sexy unter dem Handtuch, das sie als Turban um ihren Kopf gewickelt hatte. Ihre blauen Augen strahlten, beseelt von ihrem Triumph.
Mit einem Mal wirkte sie zehn Jahre jünger – die besten Voraussetzungen also, um das Casting zur Miss Hanseatic zu gewinnen. Übermorgen ging es ins Halbfinale, ihr Sieg war schon zum Greifen nah!
Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier,
aber Schneewittchen über den Bergen
bei den sieben Zwergen
ist noch tausendmal schöner als Ihr!
Zunächst glaubte die Frau, sich verhört zu haben. Doch als sie die Frage ein zweites Mal stellte und dieselbe Antwort erhielt, konnte sie sich nicht länger etwas vormachen. Sarah lebte.
Anscheinend hatte sie nicht fest genug zugedrückt, den Schal nicht lange genug zugezogen. Diesmal konnte sie niemand anderem die Schuld geben als sich selbst!
Mit pochendem Herzen setzte sie sich auf ihre Chaiselongue und sprach sich Mut zu. Sie durfte jetzt keinesfalls ängstlich werden oder die Nerven verlieren. Sarah konnte sie in ihrer Maskerade gar nicht erkannt haben. Und selbst wenn.
Würde sie wirklich den Mut haben, zur Polizei zu gehen und zu erzählen, dass ihre eigene Stiefmutter ihr nach dem Leben trachtete? Nein, niemals. Außerdem hatte Gunter ihr gedroht und unmissverständlich klargemacht, dass er nicht zögern würde, bis zum Äußersten zu gehen, wenn Sarah ihr, Bella, in irgendeiner Form in die Quere käme.
Und trotzdem musste sie sich etwas Neues einfallen lassen. Eine andere Art, das Mädchen zu töten. Eine unfehlbare Methode, um endlich die alleinige Herrscherin auf dem Thron der ewigen Schönheit zu sein.
Die Frau würde keine Konkurrenz dulden. Niemals!
27
Ich hatte zwar keine einhundert Jahre geschlafen – aber immerhin vierzehn Stunden, wie ich beim Blick auf die Uhr feststellte.
Meine müden Augen suchten den Raum ab und ich bemühte mich, zu mir zu kommen. Doch halt! Was war das? Im Sitzsack neben meinem Bett saß oder vielmehr lag etwas, das aussah wie eine gestrandete Qualle. Eine freundliche Qualle… JamieTim? Hatte er die ganze Nacht hier verbracht?
Ich räusperte mich, denn mein Hals war furchtbar trocken. Das brachte Leben in die Qualle JamieTim. Er rieb sich die Augen und lächelte. »Schneewittchen, hallo! Na, alles klar bei dir? Geht’s dir gut?«
Ich lächelte gequält und bemühte mich um einen zuversichtlichen Ton. »Ja, alles in Ordnung«, antwortete ich. Das Sprechen fiel mir immer noch schwer und mein Kopf dröhnte – doch damit kam ich schon klar. Viel schlimmer war die Vorstellung, dass mir tatsächlich jemand nach dem Leben trachtete. Und die Angst davor, dass Bella nicht früher aufgeben würde, bis sie ihr Ziel erreicht hatte.
JamieTim sah mich zweifelnd an, offensichtlich glaubte er mir kein Wort. Er dachte kurz nach, dann schälte er sich aus dem ausgestopften Ungetüm. »Was möchtest du frühstücken? Du kannst dir alles wünschen, was du magst!«
So war JamieTim: Erst mal etwas essen, dann sah die Welt schon anders aus. Was ja auch stimmte, aber langfristig half das leider nicht gegen mordlustige Stiefmütter. Ich streichelte mir nachdenklich über den Bauch. Hatte ich überhaupt Hunger? Doch, ich hatte. Und ich wollte…
»Versprich mir, dass du nicht lachst!«
JamieTim schaute, so ernst er konnte, und tat, als zückte er einen Bestellblock. Fehlte nur
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