Weiß wie Schnee, rot wie Blut, gruen vor Neid
Mittegefunden zu haben. Wer würde das nicht gerne auch von sich behaupten?
»Schreib doch einen Brief an deinen Schutzengel. Stell dich ihm vor und erzähle all deine Sorgen und Ängste. Verschleiere und beschönige dabei nichts. Je besser ein Engel versteht, worum es dir geht, desto effektiver kann er dir helfen. Schreib auf, dass es bei deinem Wunsch – nämlich dich vor deiner Stiefmutter zu schützen – auch darum geht, das Universum vor ihren negativen Energien zu bewahren. Sobald du fertig bist, verbrennst du den Brief. Auf diese Weise wird die Botschaft transformiert und kann in den Himmel steigen.«
Hätte ein anderer als Ben das zu mir gesagt, hätte ich ihn wahrscheinlich ausgelacht. Doch er blickte mich so aufrichtig und ernsthaft an, dass ich beschloss, es zu versuchen. Verzweifelt genug war ich schließlich und schaden konnte es auch nicht, oder?
Ich nickte langsam.
»Wenn du magst, hole ich dir Briefpapier. Ich nehme mal an, du hast keins?«
Ich schüttelte den Kopf, zündete eine Kerze an und stellte sie auf den Tapeziertisch, der mir vorläufig als Schreibtisch diente.
Ben kehrte mit einem cremefarbenen, schweren Bogen wieder und gab mir einen Füllfederhalter. »Engel mögen es, wenn man mit der Hand schreibt«, sagte er augenzwinkernd. Dann verließ er mein Zimmer und ich begann mit dem Brief.
Mit jedem Wort fühlte ich mich besser. Nach dem verunglückten Frühstück mit JamieTim und dem Telefonat mit der Polizei war ich wieder ins Bett gegangen und hatte beinahe den ganzen Tag geschlafen. Auch in der Redaktion meines Vaters hatte ich aus Angst noch nicht angerufen. Umso besser tat es jetzt, meine Gedanken zu ordnen und in Ruhe zu formulieren, wie ich mich fühlte.
Am nächsten Morgen sah die Welt wieder freundlicher aus. Die Sonne schien, durch den Spalt des geöffneten Fensters hörte ich Hakan auf der Straße mit dem Skateboard seines älteren Bruders herumfahren und seine Mutter vom Balkon schimpfen.
Es war zehn Uhr, also hatte ich es verpasst, Sebastian das Frühstück zu machen. Hoffentlich war er deswegen nicht böse.
Als ich vor den Spiegel im Badezimmer trat, pinnte dort ein Zettel von JamieTim. »Gib Bescheid, wenn du wach bist, Schneewittchen!«
War es gemein von mir, wenn ich mich insgeheim freute, dass er gerade arbeitslos und deshalb zu Hause war?
Nachdem ich geduscht, die Haare gewaschen und die Stelle am Hals mit der Salbe von Felix eingecremt hatte, stellte ich mein Handy an. Dieter Thomsen wünschte mir einen guten Morgen und fragte, wann ich wieder ins Tierlieb kommen würde. Susi simste, dass sie wegen irgendetwas ein schlechtes Gewissen hatte und dringend mit mir sprechen wollte, und Felix fragte nach, wie es mir ging. Und ob ich unser verpatztes Rendezvous im Café Klatsch nachholen wollte.
Natürlich wollte ich! Ein Date mit Felix wäre ein echtes Highlight in meinem momentan so verworrenen Leben.
Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so denken würde, aber beim Anziehen ertappte ich mich immer wieder dabei, wie ich mich nach einem geregelten, vielleicht auch spießigen Leben sehnte. Ich wollte die Sommerferien gern verbringen wie andere Leute auch: zwei Wochen Badeurlaub auf Mallorca, Camping auf Fehmarn oder Bornholm, Grillen im Garten, in der Sonne brutzeln auf der heimischen Terrasse, Fahrradtouren an den Baggersee…
»Schneewittchen, bist du da?«, riss JamieTims aufgeregte Stimme mich aus meinen ungewohnten Fantasien.
»Ich bin hieeer«, rief ich zurück und zog den Reißverschluss meiner Jeansshorts zu, die ich von Johnny D »geerbt« und mit einigen Nadelstichen enger gemacht hatte.
»Geht’s dir heute besser?«, fragte JamieTim, umfasste meine Schultern, schob mich von sich und musterte mich von oben bis unten. »Doch, du siehst heute viel besser aus als gestern. Du hast sogar mal wieder etwas Farbe im Gesicht!«
»Ich fühl mich auch viel besser«, bestätigte ich und wunderte mich über JamieTims hochrote Wangen. »Aber was ist mit dir? Alles okay?«
»Alka hat mich gefragt, ob ich ihr beim Renovieren helfen kann«, berichtete er mit einer Euphorie, als hätte sie ihm einen Antrag gemacht und ihn zu siebenwöchigen Flitterwochen auf die Seychellen eingeladen.
Ich entgegnete: »Ach ja?!«, und versuchte zu lächeln. Vielleicht waren Männer diesbezüglich anders gestrickt, aber ich würde mich über eine solche Bitte nicht besonders freuen. Sie klang nämlich so gar nicht sexy.
»Ein bisschen mehr Begeisterung, wenn ich bitten darf«,
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