Weiss
lag beim Nachrichtendienst MI5, der für die innere Sicherheit Großbritanniens zuständig war. Dessen Krisenstab für diesen Fall trug die Bezeichnung »Riddle«.
Im Auslandsnachrichtendienst SIS untersuchte den Anschlag von Sellafield eine achtzehnköpfige Gruppe, zu der neben den Leitern der wichtigsten Abteilungen die fähigsten Köpfe der »Firma« gehörten. Die Ermittlungsgruppe hatte sich im Beratungsraum der siebten Etage von Legoland versammelt, und diesmal war auch der Leiter der für die Bewachung von Sellafield zuständigen Civil Nuclear Police anwesend. Die stellvertretende Chefin des SIS Betha Gilmartin hatte die Leitung der Ermittlungen an Clive Grover delegiert, den Chef der Abteilung für Aufklärungsoperationen. Wenn es sich um anspruchsvolle Untersuchungen handelte, wollte sie immer, dass der »Kapellmeister« den Taktstock schwang.
Die Geräusche von Albert Embankment, Vauxhall Cross und von der Themse drangen nicht durch die Dreifach-Fenster von Legoland. Nur das Surren der Klimaanlage störte die Stille, währenddie Mitglieder der Ermittlungsgruppe auf Betha Gilmartin warteten. Auf der großen, aus Flachbildschirmen zusammengesetzten Lagetafel leuchtete das Datum der Beratung – Freitag, 13. August.
Die Tür ging auf und das Warten wurde lautstark belohnt.
»Ein Bombenanschlag in Sellafield! Wie zum Teufel ist es möglich, dass es jemandem fast gelingt, das weltgrößte Plutoniumlager in die Luft zu jagen und wir davon nichts im Voraus wissen? Dreimal dürft ihr raten, ob der Premierminister fragen wird, was mit all den Milliarden passiert, die in die Terrorismusabwehr gesteckt werden. Das frage ich mich ja auch, verdammt noch mal!«, brüllte Betha Gilmartin mit rotem Gesicht. Dann fiel ihr offensichtlich etwas ein, sie warf einen Blick auf ihren Pulsmesser und setzte sich hin, um sich zu beruhigen. Anscheinend lernte sie das nie.
»Das ist ein äußerst außergewöhnlicher Fall«, sagte Clive Grover zu seiner Verteidigung. »Die elektronische Aufklärung läuft auf Hochtouren, ebenso die Signal-, Bild- und Personenaufklärung … Das Staatliche Kommunikationshauptquartier und wir gehen jeden Tag Informationen im Umfang von Petabytes durch, und niemand hat auch nur den kleinsten Hinweis gefunden. Nicht einmal in der Anzahl der überprüften E-Mails wurden Veränderungen bemerkt, auch die internen Nachrichten haben bei keiner der bekannten Terroristengruppierungen zugenommen. Ich befürchte, dass sowohl im MI5 als auch bei uns Köpfe rollen werden.« Grover ließ den Blick von einem Kollegen zum anderen wandern.
Unterstützung fand er beim Leiter der technischen Abteilung. »Sellafield ist weltweit die gefährlichste Anlage für die Wiederaufbereitung und Lagerung von Atommüll. Immer wieder werden in den dortigen Sicherheitsvorkehrungen schwerwiegende Mängel festgestellt. Mehrfach wurde auch im Unterhaus darauf hingewiesen. In Sellafield wird schließlich über sechzehntausendmal mehr Plutonium aufbewahrt als in der Bombe von Nagasaki eingesetzt wurde.«
»Habe ich das richtig verstanden, der Anschlag ist misslungen? Die Explosion hat also die MOX- oder THORP-Anlagen oder die HAL-Behälter nicht beschädigt?«, fragte Betha Gilmartin.
»Seit der Explosion werden ständig Messungen der Radioaktivität vorgenommen. Die Werte sind normal«, versicherte der Leiter der Civil Nuclear Police.
Betha Gilmartin fühlte, wie die Bürde, die auf ihr lastete, leichter wurde, aber nur ein wenig. »Was zum Teufel ist dort eigentlich passiert? Wie ist das möglich? So etwas hat noch nie jemand gemacht.«
Der Leiter der Nuclear Police stand aus irgendeinem Grund auf, öffnete sein Notizbuch und sah aus wie ein Pastor, der seine Predigt begann. »Der Leiter der Abteilung für die Lagerung ungefährlicher Stoffe in Sellafield hat einen Fehler begangen. Er hatte als Helfer bei den Beladearbeiten eine Person angegeben, die für diese Zeit gar nicht auf dem Schichtplan stand. Das wurde erst bemerkt, nachdem der Lkw den Haupteingang schon passiert hatte. Selbst bei der geringsten Abweichung werden in Sellafield jedoch sofort Gegenmaßnahmen ausgelöst. Wir sind sehr präzise und effizient …«
Betha Gilmartin fiel ihm ins Wort: »Wie ist der gottverdammte Lkw explodiert?«
Der Polizeichef hob die Arme: »Wir haben den Lkw umzingelt und dann – wumm! Er ist von allein explodiert und hat zugleich einen unserer Helikopter und eines unserer Autos zerstört. Alle drei Personen in dem Lastkraftwagen
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