Weiss

da im Gange ist, angst und bange. Letztes Jahr hat Mundus Novus einen beispiellosen Marschflugkörper zustande gebracht und dann auch noch eine Abwehrrakete, die ein bewegliches Ziel aufspürt. Allerdings habe ich den Verdacht, dass Andrej Rostow genauso schwer auffindbar ist wie Manas.«
    Betha Gilmartin bemerkte, dass sie mit allzu viel Eifer bei der Sache war, und atmete tief durch. »Sabrina Pianini wäre uns eine große Hilfe. Sie könnte uns auch helfen, diesen Rostow zu finden.«
    Grover nickte.
    »Gibt es aus Finnland etwas Neues? Du hast doch jemanden angewiesen, diese Behauptungen Leo Karas zu überprüfen. Stimmt es, dass Viktor Hofman große Geldsummen aus Finnland erhalten hat?«
    »Ja. Ich wollte davon erst berichten, wenn wir wissen, woher das Geld stammt«, antwortete Grover. Betha Gilmartin saß in Gedanken versunken da.
    »Meine Mitarbeiter haben übrigens die Mappe mit Material über Manas ergänzt, darin müsste jetzt alles zu finden sein, was die Behörden verschiedener Länder über den Mann wissen. Russland ist allerdings immer noch nicht bereit, seine Informationen preiszugeben.« Grover reichte der stellvertretenden Chefin den Hefter, da er annahm, dass sich die Besprechung ihrem Ende näherte.
    »Danke. Wir haben anstrengende Tage vor uns.«
    Clive Grover hatte die Tür noch nicht hinter sich geschlossen, da zerrte Betha Gilmartin schon an den Klettverschlüssen ihres Stützkorsetts, die sich mit einem lauten Knistern öffneten. Siezog das Band aus den Haaren und schüttelte den Kopf, um ihre roten Locken freizugeben. Irgendwie war ihr taumelig. An einem der nächsten Tage würde sie Grover die Wahrheit über ihren Gesundheitszustand sagen und ihm Leo Karas Geschichte erklären. Jemand musste das alles wissen für den Fall, dass der Arzt recht behielt und ihre von Geburt an defekte Pumpe demnächst ihren letzten Schlag machte. Der Bürosessel schwankte, sie hob die Füße mit den niedrigen Absatzschuhen, ließ sie krachend auf die Schreibtischkante fallen und öffnete die Mappe, die Grover ihr gegeben hatte.
     
    Der richtige Name von Manas ist nicht bekannt. Geboren wurde er etwa 1967 wahrscheinlich in Kirgisien, wo er die ersten Jahre seiner Kindheit verbrachte. 1972 fand man ihn auf der Treppe der Militärakademie des Luftwaffenstützpunktes 999 der Sowjetarmee. Der Stützpunkt lag in der Stadt Kant, etwa zwanzig Kilometer entfernt von Frunse, dem heutigen Bischkek, der Hauptstadt Kirgisiens. Der Junge verstand nur Kirgisisch. Laut der Personalakte, die der KGB über ihn anlegte, stand er unter Schock, und man vermutete, dass er Autist war, er sprach so gut wie gar nicht und konnte oder wollte nichts über seine Vergangenheit sagen.
    Der Leiter der Militärakademie Oleg Budarin interessierte sich für das Findelkind, nachdem es sich bei psychologischen Tests als ungewöhnlich intelligent erwiesen hatte und sich zudem herausstellte, dass es fast gänzlich unfähig war, Gefühle zu empfinden. Als Mitglied der Kommunistischen Partei informierte Budarin den Kreml über das außergewöhnliche Individuum, und einige Jahre später schickte man den Jungen auf die Internationale Schule »E. D. Stasowa« in Iwanowo, einer Stadt dreihundert Kilometer nordöstlich von Moskau. Aufgabe der Spezialschule der Kommunistischen Partei war es, die Schüler einer Gehirnwäsche mit der Ideologie der sozialistischen Welteroberung zu unterziehen. Auch die Söhne von Mao Tse-tung und Josip Broz Tito und die Leibwächter von Fidel Castro drückten die Schulbank in Iwanowo. Die Existenz der Einrichtung wurde in der für die Sowjetunion typischen Art streng geheim gehalten;
ihre Zöglinge kannten nicht einmal die richtigen Namen der Mitschüler, denn jeder erhielt von der Schule einen Rufnamen. Manas bekam seinen nach dem Helden des kirgisischen Nationalepos.
    Manas schloss mit glänzenden Noten ab und trat in den Dienst des KGB wie viele andere Absolventen. Er studierte an der Schule Nr. 101 (VRŠ), d. h. an der KGB-Hochschule für Aufklärung, und nach dem Zerfall der Sowjetunion an der Akademie des Sicherheitsdienstes der Russischen Föderation und am Moskauer Institut für Internationale Beziehungen. Seine militärische Ausbildung erhielt er in der Eliteeinheit »Alfa« des KGB und später des FSB, wo er einer psychotronischen Gehirnwäsche unterworfen wurde. Man nahm an Manas Tests mit Funkwellen hoher Frequenz vor, sein Unterbewusstsein wurde manipuliert und die Gehirnfunktion sowie der Gesichtssinn mit