Weiss
musste ich glatt an Ukkola denken.«
»Was hat der übrigens unternommen, damit Vilma gefunden wird?«, fragte Kara und spürte, wie ihn die Wut packte, als Kati Soisalo nur schnaufte und den Kopf schüttelte. Dann senkte sich Stille über die Küche.
»Hast du schon Kontakt zu Marat Krylow aufgenommen?« Kara wechselte das Thema und nahm einen Schluck Rotwein.
»Das war ein Schlag ins Wasser, ich habe auf seinem Anrufbeantworter mehrere Nachrichten hinterlassen. Am Nachmittag bin ich wenigstens kurz in dem Restaurant in der Uudenmaankatu gewesen, das Severnaja gehört. Aber auch die Mühe hätte ich mir sparen können, wenngleich dort immerhin eine passable Pfifferlingssuppe serviert wurde. Beide Kellner und der Koch sind junge Finnen und haben nicht mal zugegeben, Krylows Namen gehört zu haben.«
Als der Tisch gedeckt und die Pasta mit Blauschimmelkäse aufgetan war, wurde Kati Soisalo ernst. »Die Tage vergehen, und bei der Suche nach Vilma gibt es keinerlei Fortschritte. Ich habe heute wieder im serbischen Innenministerium und in der finnischenBotschaft in Belgrad angerufen, keiner konnte etwas Neues berichten.«
Kara bemühte sich, mitfühlend auszusehen. »Das kommt einem schon seltsam vor, dass es auch in Europa immer noch Länder gibt, in denen Frauen und Kinder verkauft werden wie Gegenstände. Und das in diesem Jahrtausend.«
»Wer sein Kind nicht verloren hat, kann nicht verstehen, was es für ein Gefühl war und ist, Vilma zu verlieren«, sagte Kati Soisalo, trank ihr Glas aus und füllte es wieder.
»Ich kann es verstehen.« Der Satz rutschte ihm heraus, ehe er sich seine Worte überlegen konnte. Kati Soisalo schaute ihn erstaunt an.
Es war nicht so, dass Kara sich entschloss, ihr von seiner Familie zu erzählen. Die Worte sprudelten einfach von allein aus ihm heraus. »Ich habe … hatte eine jüngere Schwester – Emma. Ein toller Typ, fröhlich und lebhaft, ein ganz anderer Menschenschlag als ich. Aber diese Geschichte muss man der Reihe nach erzählen, und angefangen hat sie 1989. Damals drang ein Trupp bewaffneter Männer in unser Londoner Zuhause ein und zwang die ganze Familie mitzukommen. Sie brachten uns zur Arbeitsstelle meines Vaters in einem alten Fabrikgebäude, das der Waffenhersteller BAE Systems gemietet hatte. Es lag im Nordwesten Londons auf dem Industriegelände im Park Royal, nicht sehr weit von unserem Haus entfernt.«
Kara runzelte die Stirn. »Jahrzehntelang wusste ich von diesen drei Tagen so gut wie nichts mehr. Man hat versucht mich umzubringen, ich bekam eine Kugel in den Kopf, unter den Folgen leide ich noch heute. Doch in den letzten Wochen hat sich der Zustand geändert … und ändert sich weiter, vermutlich weil ich ein neues, wirksames Medikament einnehme. Ich erinnere mich jetzt zumindest an einen Teil von dem, was mit meiner Schwester passiert ist.«
Kati Soisalo legte die Gabel auf den Teller.
Kara starrte vor sich hin, ohne etwas zu sehen, er tauchte tief in einen Strom von Erinnerungen ein, in dem er zwanzig Jahre lang nicht geschwommen war. »Wir beide, ich und Emma, wurden zunächst in einem Kellerraum des Gebäudes gefangen gehalten. Das war ein kaltes, dunkles und feuchtes Loch. Emma entdeckte unter Kisten den Deckel der Kanalisation und versuchte die Öffnung mit den bloßen Händen zu vergrößern; und sie schaffte es auch, ein paar Stücke aus dem Fußboden herauszubrechen. Aber nicht genug. Das Loch blieb zu eng, Emma hätte mit Müh und Not hindurchgepasst, aber ich nicht.« Kara verstummte.
»Emma war zehn Jahre alt und voller Energie, aber natürlich außer sich vor Angst. Wir hörten Vaters und Mutters Schreie irgendwo weiter oben, sie wurden misshandelt, man versuchte wahrscheinlich, sie zum Sprechen zu bringen. Ich war schon alt genug und begriff, dass man Vater und Mutter mit Emma und mir erpressen könnte, ich wartete nur darauf, wann man auch uns holen und schlagen würde. Emma war in Panik und reagierte ihr Entsetzen ab, indem sie die ganze Zeit irgendetwas machte. Das alles überstieg vollkommen ihr Begriffsvermögen. Schließlich beschloss Emma, durch die Kanalisation zu fliehen und bat mich, ihr das zu erlauben, sie erhoffte sich wohl, dass ich ihr Mut zusprach. Ich habe lange überlegt und ihr schließlich verboten, zu fliehen. Ich musste Emma festhalten, so sehr wollte sie weg. Diese Entscheidung hat Emma das Leben gekostet.«
Kati Soisalo zog die Augenbrauen zusammen. »Du hast deiner Schwester verboten, zu fliehen?«
»Ich
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