Weiss

etwas nicht: Das Leben war teuer, die Löhne niedrig, die Dienstleistungen der öffentlichen Hand hatte man in den letzten Jahren heruntergefahren, es gab Hunderttausende Arbeitslose, die Selbstmorde erreichten Rekordwerte, Menschen gingen genauso oft auf Grund einer Erwerbsunfähigkeit in Rente wie aus Altersgründen, nicht selten wegen Depressionen, Alkoholismus und Gewalt florierten. Vielleicht lagen die Ursachen der Probleme im Volkscharakter. Am deutlichsten bemerkte man die unter der Oberfläche schwelenden Spannungen, wenn man von einem längeren Auslandsaufenthalt nach Finnland zurückkehrte.
    Etwa zwei Kilometer Fußweg hatte Kara hinter sich, als er in dem Haus an der Ecke Tehtaankatu und Telakkakatu Aufgang A betrat, die Treppe hinaufstieg bis in die zweite Etage und an der Tür der Kanzlei klingelte.
    »Leo. Lange nicht gesehen«, sagte Kati Soisalo, die müde aussah und sich zu einem Lächeln zwang. Beide wussten nicht, ob sie sich die Hand geben oder umarmen sollten, schließlich streckte Kara seine Hand aus.
    Jonny Karlsson im Trainingsanzug wirkte kaum munterer als seine Freundin.
    »Gibt es etwas Neues von Vilma?« Kara hielt sich nicht mit Vorreden auf, während er sich auf das Sofa setzte, auf dem er bei seinem letzten Finnland-Besuch auch übernachtet hatte.
    Kati Soisalo schüttelte den Kopf. »Wir verfolgen immer noch den Hinweis, den ich in Belgrad erhalten habe. Laut Paranoid vertritt die Firma Severnaja, die Viktor Hofman Geld überwiesenhat, in Finnland russische Landmaschinen und besitzt außerdem ein Restaurant in Helsinki. Die Angelegenheiten von Severnaja besorgt in Finnland Marat Krylow, ein Gehilfe des Menschenhändlers Dimitri Arbuzow. Es ist mir noch nicht gelungen, Kontakt zu Krylow aufzunehmen.«
    »Ich habe auch einige Informationen über Kivijalka gefunden, dieses andere Unternehmen, das Hofman Geld gezahlt hat«, sagte Paranoid, er holte vom Schreibtisch einen Stoß Unterlagen und reichte Kara ein paar Blätter.
    »Kivijalka ist der parallele Firmenname eines auf der Insel Jersey registrierten Trusts namens Stone Foundation.«
    »Eines Trusts?«, fragte Kara.
    »Auf Jersey werden Trustfonds verwendet, um Mittel zu verwalten, sie unterliegen nicht dem Gesellschaftsrecht und werden nicht in einem Register eingetragen. In ihnen wird Geld versteckt«, fasste Paranoid zusammen.
    Kara sah enttäuscht aus. »Da endet dann die Spur? Auf der Insel Jersey.«
    »Beinahe. Ich habe immerhin den Namen des
Trustee,
also des Treuhänders, von Kivijalka herausgefunden. Es ist der Anwalt Eero Palomaa aus Helsinki. Ein achtundfünfzigjähriger Junggeselle, er wohnt in einem Haus am Meeresufer in Jollas, hat keinerlei Hobbys und kümmert sich meines Erachtens nur um die Angelegenheiten von Kivijalka und die Buchhaltung von Severnaja.«
    »Mit Palomaa sollte man anfangen«, sagte Kara.
    Kati Soisalo klopfte mit dem Finger auf ihren Schreibtisch. »Diesmal müssen wir unser Vorgehen sorgfältig planen. Beim letzten Mal waren wir immer einen Schritt langsamer als unsere Gegner.«
    »Zu viele wissen schon, dass wir in Arbuzows Geschäften mit dem Menschenhandel und Viktor Hofmans Finanzen herumstochern«, erwiderte Kara. »Bogdan Bojanić, mein Chef Gilbert Birou und wahrscheinlich auch das Kabinett.«
    Und Jukka Ukkola, hätte Kati Soisalo am liebsten hinzugefügt, sagte dann aber: »Du glaubst also, das Kabinett steht irgendwie auch mit diesem Fall in Verbindung.«
    »Was wissen wir über das Kabinett?«, fragte Paranoid.
    »Das, was ich letztes Jahr in Kapstadt von Henri Pohjala erfahren habe«, antwortete Kati Soisalo. »Er hat erzählt, dass die sowjetischen und später russischen Nachrichtendienste seit den sechziger Jahren bis zum heutigen Tage maßgebende finnische Persönlichkeiten anwerben. Die Gruppe ist klein, aber äußerst einflussreich und gut organisiert und nennt sich Kabinett. Sie steuert die Beschlussfassung in Finnland von Schlüsselpositionen der Gesellschaft aus und erhält ihre Befehle direkt von der höchsten Ebene Russlands, von der Verwaltung Putins – von den Silowiki.«
    Kara nahm wieder das Wort: »Das Kabinett hat mit Viktor Hofman zusammengearbeitet, und jetzt stellt sich heraus, dass Hofman aus Finnland nur von Kivijalka und Severnaja Geld erhalten hat und von niemand anderem. Es ist also ziemlich wahrscheinlich, dass Kivijalka und Severnaja oder zumindest eine der beiden Firmen in irgendeinem Zusammenhang mit dem Kabinett steht.«
    »Ich habe doch erzählt, was Henri