Weiss
Prozent Plutonium und drei Prozent wertlosem Abfall.
Wells blieb stehen und schaute prüfend auf das gigantische acht Meter tiefe Becken, in dem innerhalb von vierundzwanzig Stunden tausende Kubikmeter Wasser zirkulierten. Sein Boden war mit Metallzylindern bedeckt, die insgesamt zweitausend Tonnen radioaktiven Atommüll enthielten. Die Stille wirkte bedrohlich. Näher kam niemand in Sellafield an den hochradioaktiven nuklearen Abfall heran, und näher wollte auch niemand heran. Wells warf einen Blick hinauf zur aus gewöhnlichen Baumaterialien errichteten Decke von THORP und zum Himmel, der durch die oberen Fenster zu sehen war, und überlegte einmal mehr, wie leicht ein Passagierflugzeug das Dach durchschlagen, in das Lagerbecken stürzen und eine beispiellose Zerstörung anrichten könnte.
Sein Arbeitgeber Schneider Electric war für die Kühlaggregatezuständig, mit denen die Wassertemperatur in den Becken von THORP reguliert wurde. Wells selbst war kürzlich für die Erneuerung und Aktualisierung der speicherprogrammierbaren Steuerung verantwortlich gewesen, mit der die Kühlaggregate kontrolliert wurden. In THORP funktionierte fast alles computergestützt, das erklärte, warum der Ort so gespenstisch wirkte: In dem gewaltigen Gebäude arbeitete nur eine Handvoll Menschen. Wells sollte die monatliche Routineüberprüfung des Kühlsystems durchführen.
Plötzlich erklang ein unheimliches, zweiteiliges Warnsignal, das an das Geräusch eines Echolots erinnerte –
Criticality alarm
. Das Signal ertönte immer wieder, die Uhr zeigte 08:14, das war keine Übung. Die Computer hatten etwas festgestellt, das von der Normalität abwich, einen Defekt oder …
Wells rannte los und hörte den Widerhall seiner Schritte. Die Flure kamen ihm nun noch länger vor als sonst, er brauchte mehrere Minuten bis zur Kontrollzentrale. Er riss die Tür auf und blickte in ernste, blasse Gesichter.
»Die Wassertemperatur ist schon um zwei Grad gestiegen, und ein Ende ist nicht abzusehen. Die Steuerung … die Computer reagieren überhaupt nicht auf Befehle.«
Wells hastete zur Zentraleinheit der speicherprogrammierbaren Steuerung. Es gab fünf Logic Controller, zwei Paare von jeweils zwei Controllern und eine selbständig arbeitende Einheit. Er versuchte das für die Kühlung des Wassers zuständige Controllerpaar zu schließen und die Funktion auf das andere Paar zu übertragen – vergeblich. Dann bemühte er sich, beide Controllerpaare zu umgehen. Angespannt schauten die Mitarbeiter in der Zentrale Wells bei der Arbeit zu, Adrenalin schoss ihnen ins Blut, man konnte die Angst fast riechen. Die Stille störten nur die Finger des Ingenieurs, die auf der Tastatur tanzten. Dann hielten auch sie inne.
»Die Steuerungseinheiten gehorchen den Befehlen nicht. Esscheint so, als hätte sie jemand außerhalb von THORP unter Kontrolle. Die Anlage muss evakuiert werden.«
***
Die Stärke der Ermittlungsgruppe des SIS war nach dem ersten Anschlag auf Sellafield von achtzehn auf fünfunddreißig Personen erhöht worden. Auf der Lagetafel im Beratungsraum der siebenten Etage konnte man den Brief der Terroristen im Wortlaut lesen.
Wir haben die speicherprogrammierbare Steuerung der Kühlung sowohl der Lagerbecken des THORP-Gebäudes in Sellafield (B570) als auch des Lagers für hochradioaktiven Atommüll (B215) unter unsere Kontrolle gebracht. Den Beweis dafür haben wir geliefert, indem wir die Temperatur des Hauptlagerbeckens in THORP für eine Stunde um vier Grad erhöht haben. Gegebenenfalls können wir auch zahlreiche weitere Teile der Datensysteme in Sellafield sowie der Überwachungs- und Sicherheitsprogramme, die allesamt von entscheidender Bedeutung sind, unter unsere Kontrolle bringen. Es steht in unserer Macht, in Sellafield einen Unfall auszulösen, in dessen Folge eine beispiellose Dosis radioaktiver Strahlung in die Luft gelangen würde.
Wir fordern von der BNFL und den britischen Sicherheitsbehörden Folgendes: Morgen am 15. August 20:00 Uhr UTC (Coordinated Universal Time) treffen in Sellafield am Eingang Calder Gate zwei Spezialfahrzeuge vom Typ Seddon Atkinson ein. Es ist dafür zu sorgen, dass sie sich ungehindert auf dem Gelände von Sellafield bewegen dürfen und durch die Besatzung mit den von ihr gewünschten Materialien aus den Lagerbereichen B215 und B211 beladen werden können. Die Spezialfahrzeuge verlassen das Gelände durch das Tor Calder Gate. Die britischen Behörden stellen sicher, dass uns das
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