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Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)

Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)

Titel: Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Herbst
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anderes: Warum hast du angenommen, mein Patient sei eine Nonne?“
    Franz seufzte. Er überlegte kurz, wie er Ernst seine von der Wirklichkeit überholten Theorien auseinandersetzen könnte. Weil er es für unangebracht hielt, noch lange darüber zu debattieren, geriet seine Antwort knapp.
    Ernst war jedoch anderer Meinung. „Sehr interessant“, stellte er fest. „Ich frage mich allerdings, wo Johann eine Nonne kennen und lieben gelernt haben sollte. Es gibt zwar ein Kloster in Rostock, aber es dient als Stift für Damen aus gutem Hause. Ich kenne jede Einzelne von ihnen, und glaube mir, keine hätte Johanns Interesse auf sich ziehen können.“ Ernst dachte an seine Studienzeit in Rostock zurück und an die nicht sehr schmeichelhaften Kommentare der Studentenschaft zu der gestrengen Domina und ihren Mitschwestern.
    „Warum habe ich ständig das Gefühl, etwas zu übersehen“, sagte Franz. Eine eigenartige Falte grub sich in seine Stirn.
    „Was ist jetzt mit dem Liebesbrief? Den musst du einer anderen Dame zuordnen, wenn die Nonne nicht in Frage kommt“, verlangte Ernst. Seine Feststellung bewirkte eine verblüffende Wandlung, Franz’ Miene hellte sich auf.
    „Da hast du recht!“, stimmte er bedingungslos zu, dann senkte er die Stimme. „Ich muss unbedingt auf die Post. Bestimmt harren dort noch Briefe ihrer Abholung, die aufschlussreicher sind, als der, den ich bereits gefunden habe. Auch die Papiere im Sekretär sind durchzuarbeiten.“
    Ernsts Gesicht drückte Zustimmung, aber auch Bedenken aus.
    „Was ist los“, fragte Franz.
    „Es wird nicht einfach sein, an die Briefe heranzukommen. Nach dem Erlebnis bei der Polizei würde es mich nicht wundern, wenn der Fall deines Bruders zu einer offiziellen Ermittlung führte, wenn ...“
    „Ja, wenn es denn so sein sollte, dann erübrigten sich auch meine Nachforschungen.“ Franz presste die Lippen aufeinander.
    „Franz? Ich glaube, wir müssen gehen“, erinnerte Ernst. Er stand auf und sah seinen Begleiter herausfordernd an. „Komm, bring es hinter dich“, sagte er nur.
     
    Unter dem Tuch auf dem Seziertisch zeichnete sich ein Körper ab. Noch beschützte die unschuldige Hülle die Empfindungen aller Anwesenden.
    Ernst hatte Franz ein grobes Leinentüchlein zugesteckt, das er zuvor mit einigen Tropfen Kampferöl benetzt hatte, damit Franz es vor Mund und Nase pressen konnte. Doch Franz war nicht übel vom Geruch der Fäulnis, ihm war übel vor Angst. Nicht der Angst vor dem Anblick einer entstellten Leiche, während seines jungen Lebens hatte er auf Europas Schlachtfeldern die entsetzlichsten Verstümmellungen zu Gesicht bekommen, Franz hatte Angst, den Bruder dort liegen zu sehen.
    Josephi, Doktor der Medizin und Leiter des anatomischen Kabinetts, Chirurg durch und durch und Professor an der hiesigen Medizinischen Fakultät war ein Mann in mittleren Jahren. Er behandelte Franz sehr zuvorkommend. Nachdem er sich überzeugt hatte, Franz sei genügend vorbereitet, gab er seinem Assistenten ein Zeichen – die Hülle fiel. Franz zwang sich hinzusehen. Er betrachtete den Körper mit sachlicher Distanz, die er sich selbst schlecht erklären konnte. Er fragte sich beklommen, ob die Distanz ein Hinweis seines Herzens sei oder ob sein Verstand sich einfach weigere, das rottende Fleisch auf dem Seziertisch mit Johann in Verbindung zu bringen.
    Die Haut der unbekleideten Leiche wirkte blassgrau mit einem verstörenden Stich ins Grünliche. An den unteren Körperpartien zeichneten sich dunkle, lilafarbene Flecke ab.
    Franz bemerkte an dem Toten eine ausgeprägte Körperbehaarung, grobe Knochen und vor allen Dingen große Hände. Er streckte zum Vergleich die eigenen Hände in sein Blickfeld und spreizte die Finger auseinander. Finger und Handrücken der Leiche erschienen ihm fleischig und unelegant. Er war aber unsicher, ob das auf den Verfall zurückzuführen sei. Jedoch der Eindruck, die sterbliche Hülle eines sehr großen Mannes vor sich zu haben, der trog nicht. Der aufgebarte Körper maß trotz des fehlenden Kopfes gewiss nicht erheblich weniger als Franz’ eigene Köpergröße, wobei er seine Haupteslänge gottlob einrechnen durfte. Franz schaute an sich hinunter. Er musste sich vergewissern, dass der Anzug des Bruders so tadellos passte, als sei er ihm auf den Leib geschneidert worden.
    Er umrundete den Leichnam und blieb neben der linken Hand des Opfers stehen. Jedoch in die Handfläche konnte er nicht sehen, dazu hätte der Arm der Leiche anders

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