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Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)

Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)

Titel: Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Herbst
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etwas geschieht nur, wenn ein schlagendes Herz Blut in die Adern pumpen kann. Ich denke, das Opfer hat sich gegen einen Angreifer, der eine scharfe, vielleicht sogar zweischneidige Waffe geführt hat, gewehrt. Er dürfte mit seinen Bemühungen einige Zeit Erfolg gehabt haben, jedenfalls so lange, bis die bereits erwähnte Wundschwellung eingetreten ist.“
    Die Worte des Professors bestätigten Franz’ Vermutungen. Er hatte zu oft gesehen, wie Soldaten das Blut aus grässlichen Verwundungen gespritzt war. Die Betroffenen hatten meist ungläubig zugesehen, wie der Quell des Lebens aus ihnen herausgesprudelt war. Erst nach dem Eintreten des Todes gehorchte der Blutstrom nur noch dem Gesetz der Schwerkraft.
    Franz war bei der Schilderung des Mediziners noch etwas anderes aufgefallen. Deshalb stellte er eine zweite Frage: „Herr Professor, würden Sie meine Theorie unterstützen, wenn ich behauptete, der Tote sei ein Linkshänder gewesen?“
    „Durchaus, ich komme zu der gleichen Annahme, junger Mann.“ Josephi sah zu Goltzow hinüber, der augenscheinlich seine Gelassenheit eingebüßt hatte, jedenfalls deuteten seine verkniffenen Lippen und geballten Fäuste darauf hin.
    Ein Indiz, dachte Franz, Johann ist kein Linkshänder, die starke Körperbehaarung und die Größe des Toten sprechen ebenso dagegen, dass der Mann auf dem Seziertisch mein Bruder ist. Ich muss nur noch den Schnüffler davon überzeugen.
    Seine nächste Frage richtete er wiederum an Josephi. „Darf ich fragen, Herr Professor, ob Sie bereits Vermessungen an der Leiche angestellt haben, die Rückschlüsse auf die natürliche Körpergröße des Opfers zulassen?“
    Hier mischte sich der Kommissär ein, der es offenbar nicht gewohnt war, die Zusammenstellung von Fakten seinem Verdächtigen zu überlassen.
    „Leutnant von Klotz, kehren Sie bitte zum eigentlichen Zweck der Identifizierung zurück. Sagen Sie mir, ob Sie in dem Manne die Person wiedererkennen, die sie vermissen.“
    Franz drehte sich zu dem Beamten um. „Nein“, sagte er bestimmt, „das ist nicht mein Bruder!“
    Ernsts Brustkorb weitete sich. Seine Erleichterung überwog auch den Anflug von Reue, die aufkommen wollte eingedenk der unerfreulichen Gestaltung seines Nachmittags. Er dachte jedoch keineswegs daran, sein einmal unterbreitetes Angebot zurückzunehmen.
    „Bitte begründen Sie mir Ihre Feststellung“, forderte der Beamte verstimmt, der gewiss gehofft hatte, heute lasse sich zumindest die Identität des Opfers klären.
    „Ließen Sie dann meine, an Herrn Professor Josephi gestellte Frage zu, Herr Goltzow?“ In Franz’ Bitte schwang eindeutig Sarkasmus mit. Der Kommissär machte nur eine zustimmende Handbewegung. Aller Augen richteten sich auf Josephi.
    „Sie haben recht, junger Mann, die Körpergröße eines Menschen ist in der Tat ein wichtiges individuelles Merkmal.“ An den Kommissär gewandt fuhr er fort: „Ich verstehe auch nicht, warum die Polizei in der Veröffentlichung auf meine Angabe zur Größe des Opfers von knapp sechs Fuß verzichtet hat. Meine Berechnung basiert auf Durchschnittswerten, die auf wissenschaftlicher Grundlage ermittelt und mit einer Toleranz von ½ Zoll verlässlich sind.“ Und um Goltzows Stimmung völlig zu verderben, verkündete der Professor: „Sie hätten sich gewiss einiges an Arbeit ersparen können, Herr Kommissär.“
    Der vor aller Ohren kritisierte Beamte stand mit rotem Kopf neben der Leiche und kochte offensichtlich vor Wut. Franz beeilte sich daraufhin, die eigenen Schlussfolgerungen darzulegen. „Meine Herren, ich bin preußischer Offizier und trage gewöhnlich Uniform. Da ich aber in rein privater Angelegenheit in Rostock weile, wie sie alle wissen, bin ich in Zivil. In Ermangelung eines eigenen Anzugs trage ich den meines Bruders.“ Den einwandfreien Sitz seiner Kleidung demonstrierend drehte sich Franz wie ein Vorführmodell hin und her. „Sie sehen, mein Bruder Johann hat meine Statur, wir sind annähernd gleich groß gewachsen. Auch nehme ich nicht an, ein Mann von 24 Jahren könne noch an Körpergröße zulegen.“
    „Nein!“ Der Ruf kam gleich zweistimmig von beiden Medizinern.
    „Wenn Sie es für nötig halten, meine Maße abzunehmen, Herr Kommissär, stehe ich gern zur Verfügung.“ Franz stellte sich in der Geste einer Vogelscheuche auf und löste damit allgemeine Heiterkeit aus. In Anbetracht des Ortes und der Gegenwart einer Leiche mochte Gelächter pietätlos erscheinen, aber die angespannte Stimmung

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