Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
mit Messer und Gabel und hielt es nach Margittas jüngster Äußerung für nötig, einen gestrengen Gouvernantenblick in Richtung des Mädchens zu senden. Stetten beteiligte sich nach Verzehr seiner Portion auch wieder am Gespräch.
„Denken Sie bei den Königskindern an das alte Volkslied, das mittlerweile in allen Gassen zu hören ist, oder an die kunstvolle Umsetzung des Stoffes eines Friedrich von Schiller.“
„Ich denke an die prosaische Version des Liedes und die Rolle der falschen Norne, die meines Wissens in der spätgermanischen Mythologie das schwere Amt einer Schicksalsgöttin innegehabt hat.“ Margittas Blick ruhte etwas zu lange auf Demoiselle Engelmann, somit dürfte ihre Bemerkung nicht unbeabsichtigt gefallen sein.
„Hätte besagte Norne die Kerzen nicht ausgelöscht, die dem Schwimmer in der Nacht den Weg haben weisen sollen, hätte es nur einen weiteren Sündenfall gegeben, über den weder Ovid noch Schiller ein Wort verloren hätte. Zumal das Thema bereits in der Bibel äußerst plastisch abgehandelt worden ist.“
Elvira blieb der letzte Happen im Halse stecken. Die Männer gönnten sich ein herzhaftes Lachen, das jedoch nach einem Seitenblick auf Elvira kläglich erstarb. Stetten, der meinte, an Margittas Vorpreschen nicht unschuldig zu sein, beeilte sich, zu relativieren.
„Sie mögen recht mit Ihrer Annahme haben, Mademoiselle Margitta, dennoch können wir froh über Ovids Sage und deren Ausgang sein. Ich bin der Meinung, Shakespeare fühlte sich von diesem Stoff für Romeo und Julia inspiriert.“
Elvira hatte sich so weit erholt, dass sie einschreiten konnte. „Das ist durchaus möglich, meine Herren“, rief sie hastig. „Ich möchte mich jedoch nicht zum Stück äußern, sondern Ihr Interesse auf dessen Verfasser lenken.“
„Beteiligen Sie sich etwa auch an den Spekulationen über die wahre Identität des Dichters?“
Trebbows Frage brachte Elvira augenscheinlich aus dem Konzept. Der Triumph der Enthüllung schien ihr in der heutigen Tischrunde nicht vorbehalten zu sein.
„Ich denke, es sind keine Spekulationen“, verteidigte sie ihren Standpunkt. „Sie brauchen nur die Fakten aneinanderzureihen und logische Schlüsse zu ziehen.“
„Gewiss werden Sie so gütig sein, uns die Fakten und Schlussfolgerungen nicht vorzuenthalten.“ Trebbow hob fragend die Brauen.
Aller Aufmerksamkeit richtete sich nun auf Elvira.
Johanna freute sich für ihre Gouvernante, weil die nun Gelegenheit erhielt, sich ihrem Lieblingsthema zuzuwenden. Elvira betrachtete Königin Elisabeth als eine Art Seelenverwandte, deren höfisches Umfeld ihr bis ins kleinste Detail bekannt war.
„Wie Sie wissen, unterhielt der edelste Lord am Hofe Elisabeth Tudors eine Schauspieltruppe und ein Theater“, setzte Elvira bei ihrer Zuhörerschaft voraus, doch nur Johanna nickte wissend. „Der Mann von Geblüt war außerordentlich begabt und produzierte Theaterstücke zur Aufführung bei Hofe, wobei die königlichen Vorfahren und überhaupt die englische Historie Pate standen.“
„Wie Richard der III.“
„Unter anderem, Leutnant von Stetten. Doch zu damaliger Zeit war es weder Frauen noch dem Adel gestattet, als Schauspieler zu agieren oder Stücke zu verfassen. Daher genossen die Schauspielertruppen einen sehr zweifelhaften Ruf und jeder Vater war todunglücklich, wenn sein Sohn Darsteller werden wollte, weil alle Welt glaubte, Schauspieler würden allesamt vom anderen Ufer stammen.“ Angesichts der fragenden Gesichter ihrer Schutzbefohlenen hielt Elvira erschrocken inne. Sie machte das Glas Hoppelpoppel für ihre ungewollte Ausschweifung verantwortlich und verwünschte insgeheim das anregende Getränk.
„Verstehe“, bemerkten die Männer.
„Heutzutage werden Schauspielerinnen verehrt, von aller Welt hofiert und ich denke, die Anerkennung gebührt ihnen in jeder Weise.“
Elvira bedankte sich mit einem schnellen Blick bei Stetten für sein Einlenken und fuhr hastig fort: „Die Königin, wohl wissend um die Rolle ihres ersten Lords, verbot ihm unter Androhung des Verlusts aller Titel und Ämter das Schreiben. Als oberste Dienerin des Staates konnte sie sich über die Gesetzlichkeiten in ihrem Lande nicht hinwegsetzten. Der Lord geriet unter Druck, suchte in seiner Not nach einem Ausweg und fand ihn in William Shakespeare, den er kurz zuvor an seinem Theater engagiert hatte. Beide kamen überein, der gute Mann solle seinen Namen für die Stücke hergeben. Und seither feiert die Nachwelt den
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