Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
„wir haben über Komtesse Johannas Familie geplaudert, als wir auf ihren Bruder zu sprechen kamen, brach sie in Tränen aus.“ Stetten glaubte, damit sei die Frage erschöpfend beantwortet. Er hielt schon Ausschau, ob Trebbow und die jungen Damen in Sicht kämen, da wurde er empört angezischt:
„Sind Sie wahnsinnig! Wie können Sie das arme Mädchen mit dieser Sache konfrontieren!“
„Wieso ich“, verteidigte er sich ärgerlich über ihren unangemessenen Ausbruch. „Johanna hat höchstselbst davon gesprochen, worüber sie so betrübt ist. Dann hat sie ihre Tränen nicht länger zurückhalten können. Ich verstehe nicht, was Sie mir vorwerfen wollen.“
Elvira schwindelte. Einen Moment glaubte sie, der Boden unter ihr gäbe nach, doch es waren nur ihre Knie, die einknickten.
Stetten stützte sie, hörte sie noch erschrocken flüstern: „Mein Gott, sie weiß es schon.“ Dann folgte ihr Körper der Schwerkraft und lag mit seinen 120 Pfund schwer in seinen Armen.
„Ich brauche einen Arzt! Schnell einen Arzt, so helfen Sie mir doch, die Demoiselle ist ohnmächtig geworden!“
Sein verzweifelter Hilferuf blieb nicht ungehört. Sofort stürzten mehrere Männer herbei, um ihm die junge Frau abzunehmen. Jemand riss seinen Umhang herunter und breitete ihn als Unterlage aus, auf der Elvira behutsam gebettet wurde. Ein schwarz gekleideter Herr bahnte sich mit einer Tasche seinen Weg durch die Menschentraube aus Schaulustigen.
„Lassen Sie doch bitte Doktor Vogel durch, meine Herrschaften“, rügte ein eleganter Herr mit hoher Stirn, grauem Haar und ebenso grauem Backenbart, dessen Bitte sofort befolgt wurde.
„Was ist passiert, Eure Königliche Hoheit“, piepste eine erschrockene Frauenstimme in seiner Nähe.
„Ik weit doch ok nich“, gab der elegante Herr zurück, der demnach der Großherzog höchstpersönlich war. Der Fürst beugte sich gemeinsam mit seinem Leibarzt über Elviras totenblasses Gesicht, ihre Augenlieder flatterten bereits, nachdem Professor Vogel ihren Lebensgeistern mit einem Riechsalzfläschchen auf die Sprünge geholfen hatte.
Elvira schlug die Augen auf und starrte verwundert in die Runde. Als sie realisierte, dass Großherzog Friedrich Franz neben ihr kniete und besorgt ihre Hand hielt, glaubte sie an eine Erscheinung oder einen Traum. Erst als Johannas tränenüberströmtes Gesicht in ihr Blickfeld geriet, schlug die Erinnerung erbarmungslos zu. Am liebsten wäre sie zurück in den segensreichen Zustand der Ohnmacht gesunken. Doch Professor Vogel erlaubte es ihr nicht. Den Professor zierten ein gemütliches Doppelkinn, eine hohe Stirn und im Besonderen dunkle buschige Augenbrauen. Die standen in einen merkwürdigen Kontrast zu seinen weißen Haaren. Er erinnerte Elvira an ihren längst verstorbenen Vater. Und wie er so gütig lächelnd ihre Wangen tätschelte und unnachgiebig das Riechsalzfläschchen unter ihrer Nase kreisen ließ, fasste sie sofort Vertrauen zu dem Mann.
„Ach lassen Sie nur, Herr Doktor, es geht schon wieder“, murmelte sie. Ihr begann es, peinlich zu werden, in diesem Maße öffentliches Interesse zu erregen. Sie wollte sich eben aufrappeln, als sich Professor Vogels Hand schwer auf ihre Schulter senkte.
„Mit solch plötzlichen Ohnmachten ist nicht zu spaßen, junge Frau. Zwei der anwesenden Herren werden Sie in mein Behandlungszimmer tragen. Ich möchte keine Erkrankung unbehandelt wissen, damit Sie mir späterhin keine Vorhaltungen machen.“
Elvira fügte sich der ärztlichen Anordnung. Ein Stuhl wurde herbeigeschafft mit dem der Krankentransport vonstatten gehen sollte. Ein kräftiger Herr kürzte die umständliche Prozedur jedoch ab. Er hob Elvira auf und trug sie auf seinen Armen in Professor Vogels Behandlungszimmer, das nicht weit entfernt war.
Da der alte Fronteingang des Badehauses nicht mehr nutzbar war, weil die Errichtung des neuen Gesellschaftshauses und regerer Zuspruch des Seebades Um- und Anbauten erforderlich gemacht hatten, gelangte man nur noch über die Arkade in das ungefähr 20 Jahre alte Badehaus. Genau dort führte auch Professor Doktor Vogel seine Praxis. Im schmalen Arkadengang stieß der Krankentransport mit Baronin von Plessen und Monique zusammen.
„Du lieber Himmel, was machen Sie mit Demoiselle Engelmann?“, fragte Madame irritiert. Der unter seiner Last nun doch ins Schwitzen geratene Herr machte nur ein hilfloses Gesicht. Jedoch als Madame Professor Vogel als Nachhut des eigenwilligen Paares bemerkte, war sie
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