Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
Wokrenter-Straße war eine direkte Verlängerung der Eselföter in Richtung Hafen. Beide Straßen trennte die Lange-Straße als Querverbindung. In Letztgenannter gab es praktischerweise auch mehrere Stationen, an denen Droschkenlenker auf Fahrgäste warteten.
Franz folgte einem Hinweisschild und bog in einen Torweg ein, hinter dem sich ein kleiner, von allen Seiten mit Gebäuden umschlossener Hof öffnete. Das Ensemble machte insgesamt einen sanierungsbedürftigen Eindruck. Ein größeres Fachwerkgebäude schien seinem Alter nachzugeben, jedenfalls krümmte sich sein Dachfirst wie der Rücken einer alten Frau. Kleineren Anbauten erging es nicht besser. Allerorten bröckelte Lehm aus den Gefachen, so dass ihr Innenleben frei lag und Angriffsfläche für den weiteren Verfall bot. Doch auf der gegenüberliegenden Seite des Hofes ragte ein neues, massiv und solide errichtetes Haus auf, in dem auch das eigentliche Dampfbad untergebracht war. Auf dem Hof brannte ein Feuer, das von einem Burschen ständig unterhalten wurde. Der junge Mann erhitzte in Metallgestellen Steine, und wenn sie heiß genug waren, trug er sie in die „Banja“ des Dampfbades.
Im Bad wurde Franz höflich von einem Hausdiener in Empfang genommen. Nach der Lösung eines Billets erhielt er einen Schlüssel für eine Umkleidekabine. Dort fand er auch das obligatorische Frottiertuch, das sich der Gast schicklich um den nackten Körper zu wickeln hatte. Sein erster Gang führte ihn in ein kleines Zimmer, in dem ein großer Holzzuber, gefüllt mit Badewasser, einladend vor sich hin dampfte. Franz hatte bewusst auf die Handreichungen eines Badedieners verzichtet. Er wollte sich nicht von fremden Händen einseifen lassen, nicht zuletzt um unerwünschten Fragen zu seinen Narben vorzubeugen. Außerdem hielt er es seit der Sache in Paris für geraten, denjenigen gut kennen zu müssen, dem er den bloßen Rücken zukehrte. Zwar traute er es dem Badewirt nicht zu, eine Mördergrube zu unterhalten, dennoch blieb er seinen Prinzipien treu.
Neben der Wanne stand ein Tablett mit verstöpselten Glaskaraffen, in denen ölige Inhalte verschiedener Farben darauf warteten, dem heißen Badewasser beigemengt zu werden. Mehr aus Gewohnheit als von der Farbe angezogen, griff Franz nach einem dunkelgrünen Badezusatz, prüfte aber am Geruch, ob es auch tatsächlich Latschenkiefernöl sei. Sofort putzte ihm ein konzentrierter würzig kräftiger Geruch die Atemwege frei. Beeindruckt meinte er, wenige Tropfen mochten für ein belebendes Bad genügen.
Die Seife war sogar parfümiert, ebenso lagen Schwamm und Rückenbürste griffbereit.
Er stieg in die Wanne, bestaunte den Service des Hauses, der Sitzkissen im Badezuber vorsah. Franz war jedoch derlei nicht gewöhnt und sparte die Bequemlichkeit aus. Er lehnte sich an den gepolsterten Wannenrand und gab sich dem wohligen Gefühl hin, nur sich selbst überlassen zu sein. Die Wanne war jedoch nicht groß genug, um wirklich eine Weile zu entspannen. Nach einem Weilchen richtete er sich auf und schruppte sich gründlich ab. Allein der Akt der Säuberung war eine Wohltat und zugleich Bedingung für die Benutzung des Dampfbades.
Wie ein alter Römer in sein Tuch gewickelt betrat er die „Banja“. Nach russischer Art war der niedrige Raum, in dem das Dampfbad verabreicht wurde, mit fein geschliffenen Hölzern ausgekleidet. Der Gast konnte es sich der Länge nach auf Holzbänken bequem machen, die in verschiedenen Höhen wie auf einer Treppe für Riesen angeordnet waren. Franz besuchte so ein Dampfbad nicht zum ersten Mal, deshalb mied er wohlweislich die oberen Bänke und richtete sich auf der untersten ein. Er war der erste Gast, blieb aber nicht lange allein. Ein wohlbeleibter älterer Herr und ein schlanker junger Mann, der dem älteren trotz der figürlichen Unterschiede verblüffend ähnlich sah, gesellten sich zu ihm. Vater und Sohn, jedenfalls hielt Franz die beiden dafür, streckten sich auf den noch freien Bänken nieder.
Kurz darauf wurde ein Korb mit heißen Steinen hereingebracht. Ein schnauzbärtiger Badediener erschien, unter seinem linken Arm klemmten frisch geschnittene Birkenzweige, deshalb erinnerte er Franz irgendwie an Knecht Ruprecht. Der machte sich sofort ans Werk. Nachdem die Tür sorgfältig verschlossen worden war, goss er kaltes Wasser über die erhitzten Steine. Zischend verdampfte das flüssige Element zu milchigem Nebel und verbreitete feuchte Hitze. Den Vorgang wiederholte der respekteinflößende
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