Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
Badediener so oft, bis er meinte, das richtige Schwitzklima sei erreicht.
Franz spürte den heißen Dampf überall, auf seiner Haut, in der Nase, schließlich in der Lunge und einen Augenblick lang glaubte er, ersticken zu müssen. Seine Haut rötete sich, dann öffneten sich seine Poren und bildeten jenen erlösenden Schweißfilm, der wie ein Schutzschild gegen die Hitze wirkte. Gerade als Franz glaubte, sein Körper habe sich mit den extremen Gegebenheiten arrangiert, trat der Badediener auf den Plan. Ausgerüstet mit zwei Birkenreisern verwirbelte er die Luft über den Lagern seiner Gäste. Aber seine Betätigung sorgte keineswegs für Abkühlung, die oberen, heißeren Luftschichten verteilten sich daraufhin nur gerechter. Kurzum, es wurde nahezu unerträglich heiß. Franz benutzte sein Tuch, um die Schweißbäche aufzuhalten, die ihm über die Schläfen rannen.
Schon wieder tauchte der unerbittliche Beherrscher der „Banja“ mit ernstem Gesicht und hoffentlich guten Absichten auf. Franz wurde zu verstehen gegeben, sich auf den Bauch zu legen, damit ihm mit den Birkenreisern der Rücken traktiert werden könne. Aber das angenehme Kribbeln angeregter Durchblutung spürte Franz erst, als sein Peiniger endlich von ihm abließ. Wenig später erkannte er an den erstickten Lauten seiner Leidensgenossen, seinen beiden Mitinsassen werde nun eine ebenso liebevolle Behandlung zuteil.
Nach einer Weile signalisierte ein kühler Hauch, dass der erste Gang beendet sei. Franz tappte willig hinaus, immer dem kühlen Luftstrom folgend, der sich inzwischen durch die offene Dampfbadtür hereingedrängt hatte.
Es folgte noch der Schock der Abkühlung in einem Kaltwasserbottich, dann hüllte sich Franz in ein frisches Tuch, das für ihn bereitlag, und suchte den Ruhe- oder vielmehr den Gesellschaftsraum auf. Die Gäste des Wirtes erinnerten in ihren Badetuchtuniken an eine antike Senatsversammlung. Die Männer gruppierten sich zwanglos um einen mit allerlei Erfrischungen und Kleinigkeiten reichlich gedeckten Tisch. Franz feixte. Er kannte den Hang der Russen, jede gesellige Zusammenkunft mit Bergen fortwährend neu angerichteter Speisen zusammenzuhalten. Das gemeinsame Essen bildete nicht nur den Roten Faden, an den gern und oft angeknüpft wurde, sondern die Grundlage für die schon legendäre Trinkfestigkeit der Russen. Aber hier wurde kein Schnaps angeboten und die Erfrischungen bestanden zum größten Teil aus leckeren Häppchen. Die Gäste durften ihre Mägen nicht überladen bei den Strapazen, die jeder Schwitzgang bereithielt.
Franz dachte an das Souper bei Ernst und Charlotte und wollte eigentlich nichts mehr vor der Abendeinladung zu sich nehmen. Doch geräucherter Fisch und frisch gebackenes Brot dufteten zu verlockend, als dass er sich hätte zurückhalten können.
„Hm, köstlich, nicht wahr“, pflichtete ihm ein Herr bei, der unvermittelt neben ihm stand, „leider kann ich mit meiner Gicht nicht allzu viel geräucherten Fisch essen, eigentlich haben es mir mein Arzt und meine Frau gänzlich verboten.“
Der Herr mit Stirnglatze, Nickelbrille und sorgsam verschnürtem Badetuch über einem wohlgerundeten Bauch machte ein süßsaures Gesicht, das wohl sein Bedauern zur Haltung von Hausarzt und Gattin ausdrücken sollte. Nichtsdestotrotz stopfte er sich den nächsten großen Bissen, der übrigens schon auf seiner Gabel gesteckt hatte, in seinen Mund.
„Die Gute hat dann immer das Nachsehen, müssen Sie wissen“, plauderte er munter weiter, „wenn mein Fuß zu einer unförmigen Masse anschwillt und mir unsägliche Schmerzen bereitet.“ Er deutete mit der verwaisten Gabel auf das betreffende Körperteil, an dessen Enden die Zehen jedoch noch munter zappelten, dabei verdrehte er gekonnt die Augen.
„Warum essen Sie Fisch, wenn Sie krank davon werden“, fragte Franz und unterdrückte gerade noch rechtzeitig ein Kopfschütteln.
„Tja, warum tut der Mensch Dinge, die ihm in keiner Weise gut tun, schlimmer noch, von denen er weiß, dass sie ihm Schmerzen einbringen?“ Der Fischesser verzog ein weiteres Mal das Gesicht, diesmal sah er richtig bekümmert aus. „Ich weiß es nicht, junger Freund“, bekannte er dann freimütig und machte sich nach dem Geständnis erneut auf den Weg zum Büfett.
Franz hoffte, sein Gesprächspartner zügle seine Gelüste auf Heilbutt, doch dem war nicht so. Franz schüttelte nun doch missbilligend den Kopf, als er sah, dass der Gichtkranke zielsicher nach dem glänzenden weißen
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