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Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)

Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)

Titel: Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Herbst
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Klopfen wäre noch Ellen entfernt zu hören.
    Da war es wieder! Klang es nicht wie ein Schluchzen? Anne beruhigte sich, denn jemand, der Kummer hatte, legte es gewiss nicht darauf an, anderen etwas anzutun. Sie überlegte, es sei besser, sich zurückzuziehen. Sie wollte das Mädchen, das da so herzzerreißend weinte, nicht mit ihrer Anwesenheit beschämen. Nach Annes Überzeugung war es ein Mädchen vom Gut, das sich mit seinem Kummer hierher zurückgezogen hatte. Sie erhob sich und wandte sich zum Gehen, als sie Wortfetzen, gesprochen von einer angsterstickten Stimme, hörte.
    War dort jemand in Not und auf ihre Hilfe angewiesen?
    Anne sah sich blitzschnell um, griff sich das nächstbeste Stück Holz als Waffe und stürmte entschlossen auf den Verschlag zu, wo sie die Leidensgenossin vermutete.
    Als Anne mit ihrem Körper den Eingang zum Kabuff verdunkelte, duckte sich darin eine Gestalt und verkroch sich in einen der staubigen Winkel. Schreckgeweitete Augen starrten ihr aus einem tränennassen Gesicht entgegen. Anne wurde sich ihrer zum Schlag erhobenen Waffe bewusst. Eines vermeintlichen Feindes beraubt blieb sie verwirrt stehen, doch der Moment genügte ihr, zu begreifen.
    Vor ihr hockte die stumme Marie. Sie hielt eine schmutzige Stoffpuppe im Arm. Maries Körper wippte unaufhörlich vor und zurück, sie ließ Anne jedoch nicht aus den Augen und ihr Blick war feindselig.
    Anne ließ das Holz fallen und kniete bei der zusammengekauerten Gestalt nieder. Sie streckte beide Arme aus, um Marie begreiflich zu machen, sie hätte nichts Böses im Sinn. Dabei verdrängte sie den Gedanken, ob es klug sei, sich wehrlos zu zeigen. Maries verzerrtes Gesicht machte ihr Angst.
    Anne hatte sich von ihrer Mutter sagen lassen, Irre müssten eingesperrt werden, um sie vor sich selbst oder die Allgemeinheit zu schützen. Sie wunderte sich einen langen Augenblick, warum Marie nicht längst in eine solche Anstalt gebracht worden war.
    Maries Gesichtsausdruck wechselte von Feindseligkeit in Verzweiflung, und sofort schämte sich Anne ihrer Gedanken.
    Marie, um einige Jahre älter als Anne, war als die Stumme im Dorf bekannt. Sie hielt sich den größten Teil des Tages bei den Warkentins, den „Pasterslü“, auf. Wegen ihres „Gemütszustandes“, das Wort hatte Anne einmal bei den Erwachsenen aufgeschnappt, war die Stumme für die Arbeit nicht zu gebrauchen. Schon deshalb war die Ältere dem jungen Mädchen fremd geblieben, das von klein auf an hatte arbeiten müssen. Im Dorf hieß es außerdem, Marie sei sehr scheu.
    Anne fiel ein, dass der Riegel zur Bodentür nur von Außen betätigt werden konnte und ordnungsgemäß verschlossen gewesen war, bevor sie ihn aufgeschoben hatte.
    „Mein Gott, wie lange bist du schon hier oben?“ Da sie keine Antwort von der Stummen erwartete, hub sie erneut an: „Komm, ich bring dich nach Hause zu deiner Mutter und dein Kind nehmen wir mit.“ Anne deutete auf die Puppe, die Marie so verzweifelt an sich drückte. Augenblicklich hellte sich Maries Gesichtsausdruck auf. Mit der Puppe im Arm ließ sie sich von Anne aus ihrem stickigen Gefängnis befreien.
     
    Anne hakte Marie unter und übernahm so die Führung. Während ihres gemeinsamen Weges durch das Treppenhaus kam ihr die Situation unwirklich vor. Sie konnte sich nicht daran erinnern, Marie jemals im Herrenhaus gesehen zu haben. Die Fragen, wie die verwirrte junge Frau ungesehen in das Haus gelangen konnte und weshalb sie sich auf dem Speicher hatte einsperren lassen, ohne sich bemerkbar zu machen, setzten ihr außerdem zu.
    Anne richteten sich die Härchen im Nacken auf, als sie daran dachte, Marie sei vielleicht mit Absicht eingeschlossen worden.
    „Teufel auch!“, entfuhr ihr, sich erinnernd, dort oben klar und deutlich eine Stimme gehört zu haben. Sofort sendete sie eine stumme Abbitte für ihren gotteslästerlichen Fluch gen Himmel – und sah Marie scheu von der Seite an.
    Auf dem langen Flur im ersten Obergeschoss lief ihnen der junge Herr über den Weg.
    Anne schoss erneut das Blut in die Wangen. Abgelenkt von der Verantwortung für die Verwirrte hatte sie sich aber besser im Griff. Sie grüßte wohlerzogen und machte einen Knicks. Maries entrücktes Gesicht zeigte keinerlei Regung, sie schien den Mann überhaupt nicht bemerkt zu haben. Sie bewegte sich wie eine von unsichtbaren Fäden geführte Marionette. Anne drängte Marie ohne Erklärung an dem Grafensohn vorbei und bugsierte sie die nächste Treppe hinunter, wagte es auch

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