Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
dass der Kopf des Ermordeten nicht beseitigt worden ist, um die Identität des Opfers zu verheimlichen, sondern um sie nachzuweisen?“
Franz erstarrte einen Augenblick. Goltzows ungeheuerliche These rückte den Mord in ein völlig anderes Licht.
„Sie denken an einen Auftragsmord von ...?“ Franz flüsterte fast, die Zugehörigkeit der Mörder zu einer bestimmten Branche verschluckte er, Kopfgeldjäger standen in der Regel unter dem Schutz höherer Mächte.
Goltzow nickte bedeutsam. „Ja, Ihr Gehirn funktioniert wirklich einwandfrei“, scherzte er. „Rostock ist nun mal eine Hafenstadt“, meinte er achselzuckend. Franz folgte Goltzows Blick in Richtung Warnow; der Fluss glitzerte in einiger Entfernung in der Nachmittagssonne. „Wir leben seit Jahrhunderten vom Handel mit allen möglichen Städten und Nationen. Jeden Tag kommt und geht eine Vielzahl Fremder. Niemand kann ausschließen, dass den einen oder anderen unlautere Absichten hierher treiben. Die Welt ist voll von Leuten, die im Auftrage aller Herren Ländern Erkundigungen einholen und es soll vorgekommen sein, dass manchmal Informationen meistbietend verhökert werden. Ich kann mir gut vorstellen, dass ein Auftraggeber für derartige Unloyalität einen hohen Preis gefordert hat.“
„Und diejenigen, die losgeschickt worden sind, tragen den Preis nun mit sich herum?“ Franz zog die Nase kraus. Allein der Gedanke war widerlich und doch war er von Goltzows Theorie fasziniert.
Seit eh und je fußen Politik und Diplomatie auf Informationen. Wer sie beschaffen kann, wird gut bezahlt, andererseits wird doppelte Abrechnung regelmäßig übel genommen.
Franz stellte sich ein dünnes, aber äußerst haltbares und vor allen Dingen fesselndes Netz vor, das sich über die Welt spannte. Wer sich einmal darin verfangen hatte, dem dürfte es schwerfallen, sich daraus zu befreien. Er hielt unwillkürlich den Atem an. Was, wenn Johann sich in den klebrigen Fäden bereits verheddert hatte?
Durfte er seinem biederen Bruder so viel Wagemut zutrauen? Warum nicht? – was wusste er schon von seinem Bruder? Erschreckend wenig, musste er sich abermals eingestehen.
„Ich stelle mir die Angelegenheit auch nicht gerade appetitlich vor“, Goltzow verzog keine Miene, während er an den Faden anknüpfte, den Franz gesponnen hatte, „solche Leute, das nehme ich zumindest an, wissen damit umzugehen. Schließlich kann man leicht Verderbliches konservieren.“
„Ich kann mir trotzdem schwer vorstellen, mit so einer Fracht unterwegs zu sein. Was denken Sie, welchen Weg diese ..., diese Leute eingeschlagen haben?“
Die Männer setzten ihren gemeinsamen Fußmarsch fort. Sie durchquerten das Kröpeliner Tor, das nicht mehr wie im Mittelalter von Kriegsknechten bewacht wurde. Es gab zwar noch Torschreiber und Schreibstube, aber Zölle mussten nur noch an den Hafentoren entrichtet werden. Eine Reise zu Fuß über Land ließ wenig Spuren zurück.
„Warum nehmen Sie eigentlich so viel Anteil am Schicksal des Geköpften? Zugegeben, die Art und Weise des Verbrechens und der ungewöhnliche Fundort der Leiche geben zu denken, liefern Anlass zu Schwindel erregenden Spekulationen, aber bei Ihnen steckt doch noch etwas anderes dahinter.“ Goltzow kniff die Augen zusammen und wartete offenbar auf eine zufriedenstellende Antwort.
Franz schnappte kurz nach Luft und kam sich einmal mehr wie ein Verdächtiger in einem Verhör vor.
„Wissen Sie, Herr Kommissär, ich betrachte das Leben als eine Aneinanderreihung von Zufällen. Allein noch am Leben zu sein, verdanke ich vielen glücklichen Zufällen. Wenn ich an meinem ersten Tag hier in Rostock nicht mit Doktor Ahrens zusammengestoßen wäre, hätte ich ihn wahrscheinlich nicht kennengelernt, nicht den nächsten Tag in seiner Praxis verbracht und nicht gerade dort – wieder rein zufällig – eine Veröffentlichung Ihrer Behörde in dem Anzeigenblatt gelesen. Wäre nicht zusammen mit dem Doktor in Ihrer Amtsstube aufgetaucht und hätte mich nicht Ihren peinlichen Fragen unterzogen.“
„Sie nehmen mir doch nicht etwa die Art und Weise der Ausübung meines Berufes übel?“, fragte Goltzow und betrachtete Franz interessiert.
„Nein, jedoch will ich gern zugeben, Respekt vor Ihnen zu haben. Sehen Sie, ich komme zu einem Zeitpunkt nach Rostock, wo in der Stadt ein mysteriöser Mord passiert und mein Bruder wie vom Erdboden verschluckt ist. Da erscheint es doch plausibel, wenn ich an Zusammenhänge denke.“
Franz suchte im Gesicht
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