Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)

Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)

Titel: Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Herbst
Vom Netzwerk:
Bedacht zurückstellte, wurde ihm schmerzlich bewusst, nicht antworten zu können.
     
     

Gott sei deiner Seele gnädig
     
    Franz hatte den Weg nach Doberan verlassen. Die gut gelaunten Gesichter der Sonntagsausflügler konnten ihn nicht aufmuntern. Wie auch? Die vielen Leute, die meistenteils in einfachen Stuhlwagen Familienausfahrten unternahmen, waren ihm fremd. Je länger er unterwegs war, desto mehr bedauerte er, Tizian nicht bei sich zu haben. Zu gern hätte er sein Pferd angetrieben, sich die Lunge bei einem ausgiebigen Ritt voll verführerisch duftender Sommerluft gepumpt. Er stellte sich vor, in knapp zwei Stunden bei Johanna sein zu können. So beflügelnd der Gedanke auch war, ernüchterte er ebenso. Würde sich die kleine Schwester über seinen überraschenden Besuch freuen? Er beschwor ihr Bild herauf. Ein pausbackiges Mädchen mit bunten Bändern im Haar starrte ihn missmutig an, die Lippen hatte es zum Schmollmund verzogen. War sein letzter Eindruck wirklich die markanteste Erinnerung, die ihm von ihr geblieben war?
    Seufzend gestand er sich ein, sich nie viel mit der um sechs Jahre jüngeren Schwester abgegeben zu haben. Eine innige Geschwisterbeziehung hatten beide nie unterhalten. Daran hatte auch der frühe Tod der Mutter nichts geändert. Eher das Gegenteil war eingetreten. Eifersüchteleien hatten ihr Verhältnis stets und ständig aufs Neue strapaziert.
    Und was sollte er ihr erzählen, falls sie sich tatsächlich freute. Sollte er einfach schwindeln? Ihr vorgaukeln, er habe sie zufällig bei einem Kurztrip ins Doberaner Spielkasino getroffen. Franz verwarf den Gedanken, nahm ihn jedoch wieder auf und erwärmte sich immer mehr für die kleine Notlüge. Johanna würde ihm bestimmt nicht vorwerfen, sich nach so langer Trennung nach ihr zu sehnen, damit beispielsweise endlich mit den alten albernen Streitigkeiten aufgeräumt werde. Dem Kindesalter waren sie glücklicherweise alle beide entwachsen.
    Kaum hatte er den erfreulichen Gedanken zu Ende gebracht, machte er kehrt. Er wollte sich in Rostock eine Fahr- oder Reitgelegenheit verschaffen, die ihm nach Doberan verhalf. Plötzlich nahm er das rege Treiben um sich herum wahr: Schwalben vollführten ihre atemberaubenden Flugkunststücke und zwitscherten unbekümmert. Stare okkupierten Kirschbäume, immer auf die Gefahr hin, von empörten Obstbaumbesitzern wieder und wieder verjagt zu werden. Zu den Protestgeräuschen der Vögel gesellte sich aufgeregtes Geflatter. Franz feixte, als sich einige der frechen Leckermäuler ungeniert auf einer liebevoll hergerichteten Vogelscheuche ausruhten, um sich so eine bessere Übersicht auf Johannisbeersträucher oder Himbeerhecken zu verschaffen. Franz stibitzte sich auch einige süße Beeren und ließ dann die Gärten der Städter hinter sich. Das Panorama der Stadt tauchte auf, Tortürme und Kirchen überragten die Dächer ihrer übrigen Gebäude, doch Franz wurde auf eine andere Szene aufmerksam. Vor den Mauern Rostocks bemerkte er eine kleine Prozession – einen Leichenzug. Was ihn wunderte, war die ungewöhnliche Eskorte des Sarges, der von Totengräbern gezogen auf einem Handkarren über den Weg holperte. Die krebsroten Beinkleider der Stadtsoldaten hatten ihn auf den Trauerzug aufmerksam gemacht. Mit geschulterten Gewehren begleiteten die farbenfroh Uniformierten einen Dahingeschiedenen auf seinem letzten Weg. Vielleicht ein Kamerad, dachte Franz. Aber warum karrten sie ihn ausgerechnet an einem Sonntag aus der Stadt?
    Der Mann in Zivil, der gleich hinter dem Sarg neben einem Prediger einherschritt, kam ihm bekannt vor, obwohl Franz noch zu weit weg war, um die Gesichtszüge des Mannes erkennen zu können. Der Zug schwenkte ein auf ein umfriedetes Gelände vor den Wallanlagen, das von zwei Stadttoren flankiert wurde. In diesem Moment muteten die hohen Tortürme wie stumme Wächter über die Ruhe der Toten an.
    Plötzlich wusste er, wer der Mann war, der dem Sarg folgte und er glaubte auch zu wissen, wer dort zu Grabe getragen wurde. Es konnte nur ihr kopfloser Freund sein, wie Ernst den verstümmelten Toten genannt hatte, und in dem Mann neben dem Prediger erkannte er Kommissär Goltzow. Franz wurde von dem Leichenzug regelrecht angezogen.
    Sollte der Ermordete wirklich in sein kaltes Grab sinken, ohne seine Identität preisgegeben zu haben? Franz fühlte sich unvermittelt verpflichtet, der einfachen Zeremonie beizuwohnen. Er betrat, ohne Zweifel darüber das Richtige zu tun, einen sehr schmucklosen

Weitere Kostenlose Bücher