Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
des Kommissärs nach Verständnis.
„Ah ja? Glauben Sie, Ihr Bruder sei untergetaucht, weil er einem ähnlichen Schicksal vorbeugen wollte?“
„Ähm. Nein. Eigentlich nicht. Das heißt, bis vor kurzem habe ich einen Auftragsmord unter Spionen nicht einmal ansatzweise in Betracht gezogen. Ihre Theorie hat mich überrascht. Ich dachte eher an ein Eifersuchtsdrama ... “ Franz unterbrach sich. Er befürchtete, zu viel preiszugeben, keinesfalls wollte er den Beamten auf Johanns Fährte locken. Die Suche nach einem Verdächtigen wurde gewiss ungleich intensiver betrieben als die Suche nach einem vermeintlichen Opfer. Außerdem blieb zu befürchten, ersterer werde nicht der Obhut seines Vaters, sondern der Justiz überstellt.
„Ja, ich denke, da sind Sie auf dem richtigen Wege, junger Mann. Es bleibt mir wohl nicht erspart, die Anschläge zu prüfen, die in den letzten Wochen wegen einseitigen Verlassens ausgehängt worden sind. Die Justiz Kanzlei muss mir Einsicht in ihre Akten gewähren. Aber manchmal wird so ein Tatbestand nicht zur Anzeige gebracht. Da gibt es gewiss Dunkelziffern.“ Goltzow grinste kurz. „Heute Morgen hab ich Sie mit Frau Schultz in der Kirche gesehen. Warum fühlen Sie der Frau nicht ein wenig auf den Zahn, welche Dame in letzter Zeit einen Ehemann allein zu Haus zurückgelassen hat. Die Alte ist doch als Klatschtante bekannt. Es hat sogar Anzeigen wegen übler Nachrede gegeben.“ Er schnäuzte sich ausgiebig und zog dann skeptisch die Brauen hoch. „Na ja! Vielleicht war das doch kein so kluger Ratschlag, aber es schien mir, als ob Sie mit der Frau leidlich auskämen. Sie wohnen immer noch in der Stube Ihres Bruders?“
„Ja?“ Franz hörte sein Herz deutlich klopfen.
„Was hat die Sichtung seiner Unterlagen ergeben“, fragte Goltzow betont beiläufig.
Franz wünschte sich zur Beantwortung der insgeheim befürchteten Frage dringend Gelassenheit. „Rechnungen, Bestellungen, Aufzeichnungen, philosophische Ergüsse, eben das volle Programm, was man in einer Studentenbleibe so findet. Leider war nur ein Liebesbrief ohne Absender darunter.“
„Besser als nichts“, fand der Kommissär. „Und? Bleiben Sie dran?“
„Auf alle Fälle! Die Zeit, die mir bis zu meinem Dienstantritt bleibt, werde ich nutzen. Aber, was ich noch fragen wollte: Wo werden solche Anschläge, die wegen Verlassens von Ehegatten ergehen, veröffentlicht?“
„Man nagelt sie an die Kirchentür der zuständigen Pfarre. Ich glaube sogar, es ist noch üblich, dass es der Pastor von der Kanzel verkündet.“
„Sehr peinlich, so betrachtet hielte ich es auch so lange wie möglich geheim“, bekannte Franz voller Inbrunst.
Goltzow lachte nur einmal kurz auf. „In der Regel sind es Frauen, die sich an die Justiz Kanzlei wenden. Die Betroffenen sind vom Ernährer verlassen worden, also bleibt ihnen nichts anderes übrig, als den Mann ausfindig machen zu lassen und ihn seiner Strafe zuzuführen. Die meisten wünschen eine Scheidung. Im günstigsten Fall erhalten sie von der Kanzlei die Erlaubnis, sich wieder verehelichen zu dürfen.
Und Ihnen! Ihnen wird bestimmt keine Frau weglaufen! Sehen Sie nicht, wie viele junge Mädchen Ihnen schmachtende Blicke zuwerfen? Man könnte direkt neidisch werden. Wenn Ihr Bruder auch so ausschaut wie Sie, kann ich das Mädel glatt verstehen, das ihren Alten wegen eines so feschen jungen Mannes hat sitzen lassen.“
Franz lächelte geschmeichelt. Die Worte des Kommissärs beschworen Johanns Bild herauf. „Ja, damit könnten Sie recht behalten, mein Bruder ist ein gut aussehender Mann. Wir sehen uns aber nicht unbedingt ähnlich, er kommt eher nach unserer Mutter. Sie war eine sehr schöne Frau.“ Franz verstummte und rieb sich über die Augen, um noch einen Moment länger das Antlitz betrachten zu können, das plötzlich neben dem Abbild des Bruders aus der Erinnerung aufgetaucht war. Bei dem Gedanken an die Mutter und ihr kaum merkliches Lächeln fiel Franz prompt die Gruft des Leonardo ein. Ernüchtert räusperte er sich und dachte darüber nach, ob und wie er am schicklichsten ein Gespräch auf die Ruhestätte lenken könne, ohne in Bedrängnis oder Erklärungsnot zu geraten.
„Haben Sie Familie, Herr Goltzow?“, fragte er zunächst leutselig.
„Meine Tochter ist verheiratet und, soviel ich weiß, auch noch im Haushalt ihres Gatten wohnhaft“, Goltzow zwinkerte Franz vielsagend zu, „meine Frau hält sich zurzeit bei ihrer Schwester auf, der Ärmsten geht es wohl
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