Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
mehrsitzige Sofas luden erschöpfte Tänzer und andere Personen, die einer Sitzgelegenheit bedurften, zum Verweilen ein. Obwohl die Sonne zu dieser Jahres- und Tageszeit noch recht hoch am Himmel stand, brannten frisch aufgesteckte Wachslichte in allen Kronleuchtern und Wandlüstern. Ein besonderer Luxus, wurden doch den Badegästen pro Wachslicht zwei Schillinge zusätzlich berechnet, wenn sie ihre Unterkunft beleuchten wollten.
Das Ballgeschehen hatte den offiziellen Teil mit den höfischen Quadrillen und der förmlichen Française bereits hinter sich gelassen. Das Orchester musizierte unermüdlich und spielte einen Walzer nach dem anderen. Noch vor wenigen Jahren war der Tanz an vielen Fürstenhäusern als gemein verschrien, sogar von medizinischen Koryphäen gerügt worden. Es sollen gar Todesfälle wegen übermäßigen Walzertanzens zu beklagen gewesen sein. Aber heute scherte sich niemand um solche Bedenken. Der Walzer war zum beliebtesten Tanz avanciert. Auch die feine Gesellschaft hatte seinen Vorzug erkannt, nämlich in Tuchfühlung zu gelangen, ohne gleich ins Gerede zu geraten.
Deshalb verwunderte es nicht, wenn das im Kerzenschein erstrahlende Parkett von vielen Paaren strapaziert wurde, die sich emsig im Dreivierteltakt drehten.
Franz hatte auf dem kurzen Weg vom Fürstenpalais zum benachbarten Salongebäude mit sich gerungen, ob er seine Schwester oder ihre Freundin zuerst zum Tanz bitten sollte. Aber er konnte Johanna nicht sich selbst überlassen, während er mit Margitta den Tanzboden eroberte. Noch weniger wollte er die strahlende Schönheit an seiner Seite einen Augenblick aus den Augen, aus seinen Armen lassen. Vielleicht erdreistete sich noch jemand anderes seine Fee zu entführen und sei es nur zu einem Tanz im Dreivierteltakt.
Während er mit seinem Dilemma beschäftigt war, machte er eine vielversprechende Entdeckung. Nach seiner Meinung lehnte Ludwig von Trebbow recht unschlüssig an einer Wand des festlichen Saales. Franz vertraute dem Rittmeister soweit, ihm Johanna an die Seite zu geben. Er unterstellte dabei, Trebbow werde sich anständig benehmen, wenn man ihn darauf aufmerksam machte, auf die Schwester eines Kameraden achtzugeben. Außerdem kannte er Trebbow als hervorragenden Tänzer und angenehmen Unterhalter. Johanna würde sich an seiner Seite gewiss köstlich amüsieren.
Zielstrebig steuerte er auf den hochgewachsenen Offizier zu.
„Trebbow! Hab schon immer gewusst, dass die Welt ein Dorf ist! Schön, Sie hier zu sehen!“, grüßte Franz. Seine Freude, Trebbow zu treffen, war aufrichtig, auch wenn sie zum guten Teil mit der Lösung seines Problems zu tun hatte.
Trebbow löste sich von der Wand. Sein Gesicht zeigte keine Spur von Überraschung, was Franz wiederum erstaunte. In diesem Jahr war Doberan zwar ein besonderer Anziehungspunkt für eine illustre Gästeschar, weil Fürst Blücher sich die Ehre gab, doch das war noch lange kein Grund sich nicht darüber zu wundern, wenn man einen Kameraden fast 50 deutsche Meilen entfernt von der gemeinsamen Garnison antraf. Noch seltsamer erschien ihm, was mit seinen Begleiterinnen vorging. Johanna versteifte sich und zerrte an seinem Arm. Bei Margitta entdeckte er einen bemühten Ausdruck, der gelassen ausschauen sollte, jedoch eher hochmütig wirkte.
„Meine Damen, Leutnant von Klotz!“, grüßte Trebbow. Er schlug die Hacken zusammen und machte eine zackige Verbeugung.
Kein Lächeln huschte über sein Gesicht.
Was ist denn mit dem los? dachte Franz. Er hatte jedoch keine Lust, und vor allen Dingen keine Zeit, Trebbows Innenleben unter die Lupe zu nehmen. Jedenfalls schien es, heute sei der Rittmeister nicht in Stimmung, junge Damen zu unterhalten. Resigniert strich Franz die bereits sicher geglaubte Variante aus seinem Plan. Etwas hilflos sah er sich im Saal um. Sein Vater war nirgends zu entdecken, außerdem musste der sich um die Witwe kümmern, schon deshalb schied er als Johannas Tanzpartner aus.
Christian von Stetten! Er hatte doch den Freund gesehen. Wo steckte der nur?
Verdammt, ich brauche doch noch etwas Zeit, überlegte er.
„Möchten die Damen Champagner?“
O Gott, dachte Franz ernüchtert. Noch vor wenigen Wochen hatte er einfallslose Männer belächelt, die Erfrischungen beschafften, wenn es darum ging, Zeit zu überbrücken. „Johanna, Mademoiselle von Plessen, entschuldigen Sie mich bitte einen Augenblick, ich bin sofort wieder da.“
Die Mädchen gaben ihren Begleiter nur unwillig frei.
Franz
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