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Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)

Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)

Titel: Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Herbst
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als Vater und Bruder an einem einzigen Tag zu verlieren.“
    „Du hast recht“, sagte Franz tonlos. Er wendete sich vom Geschehen auf dem Parkett ab. Seine Kiefermuskulatur zuckte, auch seine langen Koteletten konnten das Zeichen seiner Nervosität nicht verbergen.
    „Komm, lass uns gehen. Erzähl mir bitte die Geschichte mit der Engelmann“, bat er.
    Sie suchten den benachbarten Raum auf. Er diente zum Anrichten der Speisen und stand in Verbindung mit der Küche, die im Keller untergebracht war. Wegen des Balls war das Nachtmahl auf einen späteren Zeitpunkt als üblich verschoben worden. Christian erzählte, Theatervorstellungen und Tanzveranstaltungen pflegten den regelmäßigen Badealltag durcheinanderzuwirbeln.
    Aus der Küche drangen Geräusche reger Geschäftigkeit herauf. Franz gelangte sehr schnell zu der Überzeugung, die vorbeiflitzenden Aufwärter hätten keine Zeit, seine Unterredung mit Christian zu belauschen.
     
    „Wie gefällt dir Leutnant von Stetten, Papa?“
    Dem Grafen fiel der bange Ton seiner Tochter auf. Er hatte eine solche oder ähnliche Frage schon befürchtet und drückte Johannas Hand, während er sich auf die Tanzschritte konzentrieren musste. Er durfte keinesfalls das Sprichwort zitieren, das die Baronin bemüht hatte, stattdessen stellte er eine Gegenfrage: „Verlangst du nicht ein bisschen viel von mir? Ich kenne den jungen Mann überhaupt nicht!“
    „Aber er ist doch Franz’ Freund!“, wandte Johanna ein.
    „Und du meinst, das qualifizierte ihn automatisch?“ Der Graf lächelte über Johannas Sichtweise. Ein Mensch, der ihrem Bruder zugetan war, konnte nach ihrer Ansicht gar nicht anders als gut und edel sein. Erstaunlich, dachte er, wo sie noch in Ludwigslust völlig anderer Meinung zum Charakter des jüngeren Bruders gewesen war.
    „In der Vergangenheit bin ich in Bezug auf Franz ziemlich kleinlich gewesen“, bestätigte Johanna seine Gedanken. „Sie sind wirklich alle Helden, jeder einzelne Soldat, der da draußen gewesen ist.“
    Der Graf riss erstaunt die Brauen hoch. Sollte Johanna innerhalb weniger Tage ihr Weltbild korrigiert haben, in dem es bisher keine Grautöne zwischen Schwarz und Weiß gegeben hatte?
    „Lass es einfach auf dich zukommen, Kind. Häng bitte nicht zu viele Erwartungen an einen Mann, den auch du kaum kennst. Die Welt steht dir offen. Wer weiß, was sie dir noch zu bieten hat?“
    Die Welt, die der Graf mit seinen Worten heraufbeschworen hatte, war in Wahrheit nichts anderes als die behütete Häuslichkeit der Klotz’schen Villa, in der seine Tochter ihm noch so lange wie möglich Gesellschaft leisten sollte. Johanna besaß keine besonderen Talente, die sie aus der Masse gut situierter junger Mädchen hervorhob, um etwas anderes aus sich zu machen als eine gut situierte Ehefrau. Der Graf verbot sich, zu seufzen, als er an die Aufbringung einer Mitgift für Johanna dachte. Das Vermögen der Mutter seiner Kinder war in den mageren Jahren für Kapitaldienst und Zinsen sowie für Ausbildung und Unterhalt der Söhne längst verbraucht worden. Ihm blieb der Not gehorchend nichts anderes übrig, als Stetten unter die Lupe zu nehmen, ob der Johanna ein standesgemäßes Leben bieten könne. Und – der Graf konnte die Zeit für sich arbeiten lassen.
    „Bauen ist ein süß Verarmen“, wie recht das Sprichwort hat, dachte er bitter. Er hatte sich wie alle anderen Gutsbesitzer in Mecklenburg-Schwerin an die guten und sehr guten Getreidepreise um die Jahrhundertwende gewöhnt. Hatte damals gemeint, wie viele andere auch, die Konjunktur reiße nicht ab. Es hatte ihn geritten, den repräsentativen Familiensitz in Ludwigslust zu errichten. Dem Bau war nicht nur der Großteil des Holzbestandes Hohen-Lützows zum Opfer gefallen, sondern auch die Erbschaft, die ihm seine erste Frau hinterlassen hatte. Aber damals war er der Meinung gewesen, zukünftige sicher geglaubte Einnahmen würden die verwirtschafteten Reserven auffüllen. Er hatte seine Rechnung ohne Napoleon gemacht. Es half dem Grafen nicht, sich voller Häme vorzustellen, wie bescheiden der entmachtete Korse nun auf St. Helena vor sich hin vegetiere. An der eigenen finanziellen Situation änderte sich deshalb noch lange nichts. Auch wenn es ihm bisher gelungen war, den Schein nach außen zu wahren.
    Er schaute auf seine Tochter hinunter, die nach seiner wenig ermutigenden Antwort den Kopf gesenkt hielt. Es tat ihm leid, nicht über den eigenen Schatten gesprungen zu sein, da zu befürchten stand,

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