Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
vor einer knappen Woche so erschreckt hatte.
Sie standen sich Aug’ in Auge gegenüber. Franz versuchte, die Fakten in eine logische Reihenfolge zu bringen, damit er seinen Vater nicht mit unbedachten Äußerungen unnötigerweise ängstigte. Aber er gab auch das bald auf. Es dauerte seine Zeit, die letzten Tage Revue passieren zu lassen. Er verschwieg nichts. Sein Vater hatte ein Recht darauf, alles zu erfahren, was Johann betraf. Er musste sich mit der Situation auseinandersetzen und eigene Schlüsse ziehen.
Der Graf hing an Franz’ Lippen. Während der Schilderung huschte häufig der Ausdruck des Entsetzens über seine Züge, doch Franz verzichtete auf kein Detail, keine Möglichkeit, die ihm durch den Kopf gegangen war. Er behielt den Vater unbeirrt im Blick, als er die Erpressung zur Sprache brachte und den Verdacht äußerte, Johann könne nicht nur etwas zugestoßen sein, sondern sich schuldig gemacht haben. Es tat ihm weh, den Vater leiden zu sehen, doch er litt selbst unter dem Eindruck angehäufter Fakten und Vermutungen.
„Deshalb schätze ich die morgige Leichenfeier als ungeheuer wichtig ein. Außerdem könnte Ernst noch wertvolle Informationen aus den Briefen herausgelesen haben, die ich ihm zum Übersetzen überlassen habe. Er ist ein feiner Kerl. Ich bin froh, ihm über den Weg gestolpert zu sein.“ Damit schloss er seine umfangreiche Schilderung.
Der Graf sank auf das Bett. Er bedeckte die Augen mit einer Hand, seine Finger massierten die Stirn. Eine krampfartig hervorquellende Ader pochte an seiner Schläfe. Franz vermutete, sein Vater leide an quälenden Kopfschmerzen.
Er ließ ihm Zeit, die Komplexität des Berichtes auf sich wirken zu lassen. All die Dinge, die er in der vergangenen Woche herausgefunden hatte, die sich recht mühsam in ein sinnvolles Mosaik einfügen ließen oder auch nicht, hatten sich ihm Stück für Stück erschlossen. Seinen Vater hatte er innerhalb kürzester Zeit mit höchst besorgniserregenden Fakten und Mutmaßungen konfrontiert, die den plötzlich alt wirkenden Mann aus der Fassung gebracht hatten. Doch Franz drängte eine innere Unruhe. Er durfte nicht länger auf die Gefühle seines Vaters Rücksicht nehmen. Es gab noch Wichtiges zu besprechen.
„Da ist noch etwas, Vater“, begann er vorsichtig.
Der Graf stöhnte und nahm die Hand von den Augen, richtete sie müde auf seinen Sohn.
„Die Engelmann muss über Johanns Verschwinden unterrichtet worden sein“, gab er zu bedenken.
Urplötzlich war die Müdigkeit aus dem Antlitz des Vaters verschwunden. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen. „Zachow“, presste er hervor. „Der elende Kerl!“, rief er angewidert, „ich hätte mir denken müssen, dass der nichts für sich behält.“
Der Graf erzählte die Episode, wie sein Sekretär unbeabsichtigt an den Brief des Rektors geraten war. „Noch am selben Nachmittag werden die beiden die Köpfe zusammengesteckt haben“, entrüstete er sich. Dann richtete er seine schreckgeweiteten Augen auf Franz. „Woher weißt du davon?“, fragte er hastig. „Die Engelmann wird doch nicht ...“ Der Graf sprang von der Lagerstatt auf.
„Nein!“, Franz hatte lauter gesprochen als beabsichtigt. Er griff nach dem linken Arm seines Vaters und bat ihn, sich wieder zu setzen. „Stetten hat es mir sofort erzählt, als wir uns heute trafen“, sagte er bemüht beiläufig, nur um zu erreichen, dass sein Vater ihn entgeistert anstarrte. In diesem Moment war Franz nachträglich froh darüber, sich die Zeit genommen zu haben, mit Christian die Umstände der Engelmann’schen Ohnmacht bis ins kleinste Detail besprochen zu haben. Nur so konnte er seinem Vater den Sachverhalt haarklein auseinandersetzen.
„Aber das hieße doch“, wandte der Graf ein, „dieser ..., wie lautete gleich der Name des Rittmeisters?“
„Trebbow“, half Franz.
„ ... Trebbow ist bereits involviert.“
Franz nickte. Er hoffte insgeheim, die Neuigkeit werfe keinen Schatten auf Christian, der nur in berechtigter Sorge um Johanna in Trebbows Gegenwart Gedanken ausgesprochen hatte, die er hätte für sich behalten sollen. Doch er mochte dem Freund keine Vorwürfe machen. Es blieb abzuwarten, wie sein Vater damit umging.
„Stetten! Wie gut kennst du den jungen Mann?“
„Ich verbürge mich für ihn“, sagte Franz voller Inbrunst, „Trebbow kenne ich allerdings nicht so gut, als dass ich mir ein Urteil über ihn erlauben könnte. Aber Christian versicherte mir, der Mann habe in den letzten
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