Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
aller gesetzlichen Grundlagen“, meinte der nächste, der sich im Tumult, der nun aufkam, Gehör verschaffen konnte.
„So ist es. Seit vier Jahren gibt es in Preußen so ein Gesetz, das die Leibeigenschaft innerhalb des Dezenniums abschaffen soll, doch den Preis zahlen meiner Meinung nach nur die Grundherren. Ich glaube auch nicht an die erfolgreiche Umsetzung dieses Machwerks, das nur unter napoleonischem Einfluss hat zustande kommen können.“
„Preußen und seine Gesetze sind für mich weit weg. Was gehen mich die Hirngespinste eines Freiherrn von und zum Stein an. Der Mann gehört dem Adel an und schwächt den eigenen Stand mit seinen Reformen , von denen nicht einmal der gemeine Landmann etwas hat. Die haben doch nicht gelernt zu wirtschaften, sonst wären sie nicht Leibeigene geworden!“
Allgemeines Beifallsgemurmel erhob sich, so dass der Eindruck entstand, Maltzahn stehe mit seinem Vorhaben isoliert da.
Der lächelte über die Aufregung, die er angerichtet hatte. „Ich brauche kein Gesetz, um die Leute zu entlassen, die auf dem Papier mit Leib und Gut mir gehören. Wer wollte mir das verbieten? Ich kann alles verschenken, was mir gehört. Graf Hahn, was sagen Sie als Mann der Künste dazu.“
Eine peinliche Stille entstand. Den Gesichtern nach zu urteilen, empfand nicht nur Graf Klotz Maltzahns Wahl eher unglücklich, ausgerechnet Graf Hahn auf Neuhaus gefragt zu haben, weil der theaterbegeisterte Mann Jahr um Jahr sein Vermögen verschleuderte, um damit Schauspielhäuser und Künstler zu bezahlen. Dennoch gehörte ihm und seiner Familie der größte Anteil des ritterschaftlichen Grundbesitzes im Mecklenburgischen. Also war seine Meinung maßgebend.
„Wie Sie bereits sagten, mein lieber Maltzahn, ich verstehe mich besser auf die Künste als auf die Ökonomie“, entgegnete Graf Hahn liebenswürdig, aber nicht gerade ermutigend.
„Ich bewirtschafte mein Gut längst mit Pächtern und habe gute Erfahrungen gemacht, meine Herren“, mischte sich nun Borowsky ein, der nicht länger mit seiner Meinung hinter dem Berg halten konnte. „Die Zeiten, in denen Arbeitskräfte zum Bestellen der Äcker fehlten, sind gottlob vorbei, von den Ausnahmen wie dem vergangenen Krieg mal abgesehen. Aber ansonsten? Schauen Sie nach England und denken Sie an den Fortschritt, den die Industrialisierung dem Land beschert. Dort werden Maschinen erdacht und gebaut, die Bestellung und Ernte um ein Vielfaches effektiver machen. Auch hierzulande werden Maschinen den Landbau revolutionieren. Wir werden einen Arbeitskräfteüberschuss erleben. Ich finde Baron von Maltzahns Idee großartig und kann ihn zu seiner Entscheidung nur beglückwünschen.“
Der Graf starrte seinen Nachbarn entgeistert an. Allein dessen Wortwahl erschreckte ihn, auch wenn sich sein „revolutionieren“ auf die friedliche Einführung von Maschinen im Landbau bezog.
In diesem Frühjahr hatte er sich in Wismar eine Dreschmaschine aus schwedischer Fabrikation angeschaut. Zugegeben – das riesige Ding hatte ihm imponiert, aber es hatte ihn nicht dazu verleitet, seine Leibeigenen, die das Korn in schweißtreibender Arbeit mit dem Flegel ausdroschen, in die Freiheit zu entlassen und eine Maschine deren Arbeit verrichten zu lassen.
Außerdem musste so ein Ungetüm erst einmal angeschafft werden, wofür ohnehin die Mittel fehlten. Am leidigen Zustand seiner Kapitalien angekommen, verstand er den Argumentationsmangel, der auch andere Grundbesitzer peinigen musste. Graf Hahn selbstverständlich ausgenommen. Vielleicht, so dachte der Graf, sollte ich demnächst mit dem Mäzen ein Gespräch unter vier Augen führen, der nächste Zinszahltermin rückt mit jedem Tag bedrohlich näher.
„Wenn Sie sich so gut in England auskennen, mein Herr, dann kennen Sie gewiss die Angst der Engländer, sich etwas von ihren Errungenschaften abgucken zu lassen. Ich denke nur daran, wie lange es den Insulanern gelungen ist, das Geheimnis der Arkquwide’schen Spinnmaschine für sich zu behalten.“
Borowsky wurde triumphierend angefunkelt.
„Ach, und Sie sind der Meinung, es fände sich in Ihrem Lande keine findige Seele, die Maschinen konstruieren und bauen könnte?“, entgegnete Borowsky gelassen.
Der Ausdruck des Triumphes verschwand aus dem Gesicht des Vorredners. Der Graf feixte. Er musste seinem Nachbarn unumwunden zugestehen, den Finger exakt in die offene Wunde gelegt zu haben.
Jemand seufzte: „Tja, das ist fast zu befürchten. Zurzeit gelingt es in unserem Lande
Weitere Kostenlose Bücher