Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
nicht einmal, das Eisenwerk in Dömitz wiederherzurichten. Die Handwerksmeister bekriegen sich gegenseitig und schauen eifersüchtig darauf, dass in ihrer Nachbarschaft nichts Neues entsteht. Mir wollten die Wismeraner Zunftmeister sogar verbieten, auf meinem Land einen Schmied zu beschäftigen. Als Grundherr kann ich mich gottlob über solche Einmischung hinwegsetzen, doch in den Städten sieht das anders aus.“
„Warum lassen Sie Ihre Deputierten im Landtag keine Gesetze durchbringen, die die Wirtschaft fördern“, schlug Borowsky vor. Mit seiner Schlagfertigkeit hatte anscheinend niemand gerechnet. Die Debatte ruhte betroffen. Auch der Graf als Deputierter der Ritterschaft im Landtag beider Großherzogtümer Mecklenburg fühlte sich peinlich berührt. Endlich wurde begriffen, dass man dem Fortschritt im eigenen Land einen entscheidenden Anstoß geben konnte, und umso lebhafter setzte die Diskussion wieder ein.
„Erst muss über den Generalindult entschieden werden, bevor sich der Landtag mit neuen Gesetzesvorlagen befassen kann. Nicht zuletzt liegt alles danieder, weil kein Kapital ins Land fließt“, konstatierte der Graf und setzte eine würdevolle Miene auf.
„Was bringt uns ausländisches Kapital?“, ereiferte sich dagegen ein hagerer Herr. „Sollte der Indult aufgehoben werden, kommt es zu Massenkonkursen. Wir haben gar nicht so viele Advokaten im Land, wie Aktorate zur Verfügung stünden. Die Anwälte verdienten sich dumm und dämlich, entschuldigen Sie bitte meine prosaische Darstellung, meine Herren, und trotzdem ginge die Hälfte der Gläubiger leer aus, weil die Güter nicht einmal mehr zwei Drittel ihrer Anschaffungskosten an Wert abdecken.“
Zustimmendes Gemurmel erhob sich.
„Keinesfalls plädiere ich für eine übergangslose Abschaffung des Zahlungsaufschubs“, stellte der Graf richtig, „sondern für die Einführung eines einheitlichen Kreditrechts. Die althergebrachten unhaltbaren Zustände bei der Kreditvergabe und die fast willkürliche Kündigungspraxis sind es doch, die viele Grundherren an den Rand des Abgrunds gebracht haben. Es existiert ja noch nicht einmal ein allgemeingültiges Taxsystem, womit sich der tatsächliche Wert der verschuldeten Güter bestimmen ließe. Wir sollten doch nach Preußen schauen, meine Herren, zumindest, was die allgemeine Einführung von Hypothekenbüchern betrifft.“ Er vermied aus gutem Grund, auf die Abschaffung der Leibeigenschaft im Nachbarland einzugehen. Ein solches Szenario überstieg sein Vorstellungsvermögen.
„All die Maßnahmen, die Sie so trefflich anführen, mein lieber Graf Klotz, hätten schon um die Jahrhundertwende greifen müssen. Schauen Sie sich doch um! Die Hälfte des adligen Grundbesitzes ist an Bürgerliche verkauft worden, zumeist finanziert mit ausländischem Kapital. Jetzt sitzen die neuen Grundherren damit an und können es bei dem Preisverfall nicht mehr losschlagen. Haben meist mehr Kredit aufgenommen, als ihr Land tatsächlich wert ist.“ Der Redner schaute sich um, als ob er sich vergewissern müsse, ungestraft seine Meinung äußern zu dürfen. Er senkte die Stimme, während er fortfuhr: „Sogar Juden sind mecklenburgische Grundherren geworden! Wann hat es so etwas je gegeben. Selbst dem gemeinen Landmann ist es unerträglich, einem Juden gehorchen zu müssen. Das Bürgerrecht und das Recht auf Grunderwerb für Juden gehört abgeschafft in diesem Land!“
Der Redner erntete hie und da ein Nicken, wenn man sich auch nicht lautstark gegen bestehendes Recht beklagte. Die Herren musterten sich unauffällig.
„Wir in Rostock haben das landesherrlich garantierte Bürgerrecht sowieso nie anerkannt“, platzte ein selbstgefälliger Herr, vermutlich ein Bürger ebendieser Stadt, in die angespannte Stille. „In unseren Mauern darf kein Jude Handel treiben. Nur einmal im Jahr ist es ihnen gestattet. Auf dem Pfingstmarkt können sie ihre Waren feilbieten wie alles andere Handel treibende Volk. Aber wir passen auf, dass ihre Preise recht hoch ausfallen und den Hiesigen nicht die Geschäfte verdorben werden. Dafür sorgen die saftigen Steuern, die Israeliten an den Toren entrichten müssen“, sagte er schadenfroh grinsend. Während des Sprechens hatte er es nicht für nötig gehalten, seine Meerschaumpfeife aus dem Mund zu nehmen.
„Ja, ich denke auch, das Zugeständnis an den jüdischen Geldadel verschwindet bald!“, wurde noch von anderer Seite betont.
Das Gespräch verstummte abrupt, als Kammerherr von Flotow
Weitere Kostenlose Bücher