Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
es einer umständlichen Prozedur bedurfte, ihre Treibladung mit brennenden Lunten zu entzünden, kann ich die Angst von Kaiser Maximilian verstehen, einem Attentat mit so einer Pistole zum Opfer zu fallen. Daher erließ er strenge Gesetze zum Tragen direkt zündender Handfeuerwaffen.“
„Ich hab gar nicht gewusst, dass gesetzliche Reglementierungen für Feuerwaffen schon so alt sind“, bekannte Stein und betrachtete die Pistole unter dem Eindruck des zuvor Gehörten.
Der Exkurs in die Geschichte der Waffentechnik fesselte die Männer gleichermaßen. Man fachsimpelte über die jetzt gebräuchlichen Steinschlossvorderlader und lobte die von Ferguson in der britischen Armee eingeführte Büchse mit gezogenem Lauf und Hinterladerprinzip, die bereits im nordamerikanischen Unabhängigkeitskrieg ihre Feuerprobe zu bestehen hatte.
„Und nun, meine Herren, möchte ich Ihnen die neueste Errungenschaft der Büchsenmacherei vorstellen!“, eröffnete der Hausherr. Dazu entnahm er einem mit Samt ausgeschlagenem Futteral ein Gewehr und führte seinen erstaunten Gästen vor, wie man mittels eines Hebels am Ende des Laufes eine Kammer öffnete. Genauso theatralisch wie beim Vorführen der Radschlosspistole zelebrierte Borowsky das Laden der Waffe, indem er ein längliches Projektil mit Metallboden in den Lauf steckte und den Verschluss betätigte.
„Meine Herren, wir sind schussfertig.“
Ungläubig starrten Franz und Stein ihren Gastgeber an. „Verzeihung, verstehe ich Sie richtig?“, fragte Franz. „Die Büchse benötigt weder Zündpulver noch Treibladung?“
Borowsky fühlte sich in seiner Rolle als allwissender Experte mächtig wohl. Er spannte seine Gäste noch etwas auf die Folter.
„Bitte, meine Herren, überzeugen Sie sich selbst. Ich habe in der Nähe einen ausgezeichneten Schießstand.“ Mit einer einladenden Handbewegung gab er zu verstehen, man möge ihm folgen.
Die Anlage war nicht weit entfernt vom Haus. Wenn dort geschossen wurde, war der Schlossherr selbstredend mit dabei und der Lärm der Schüsse hatte Borowskys Dienstboten nicht zu stören.
Franz sollte als Erster die moderne Waffe ausprobieren. Er bemerkte, die Büchse liege ausgezeichnet an seiner Schulter, also visierte er über Korn und Kimme und drückte ab. Die Wolke Pulverqualm nach einem Schuss, die dem Soldaten so vertraut war, blieb aus. Auch der Rückstoß der Waffe erwies sich als verblüffend gering. Franz staunte das Gewehr mit offenem Mund an und nachdem Borowskys Dienstleute auch noch festgestellt hatten, er habe ins Schwarze getroffen, war seine Begeisterung für das Wunderwerk der Waffentechnik nicht einzudämmen. Aus Franz sprudelte es nur so heraus: „Wie ist das nur möglich? So federleicht und so einfach zu bedienen! Kein Zündpulver, keine sperrigen Papierpatronen, kein Ladestock, kein Zündhütchen. Baron, Sie müssen mir das Wunder sofort erklären.“
„Das ist kein Wunder. Wir verdanken dieses Gewehr dem Erfindungsreichtum eines Herrn Pauly, der das erste Patent für eine sogenannte Patrone mit Metallbodenstück, die ein Zündsystem enthält, angemeldet hat. In der kleinen Patrone“, Borowsky hatte eine weitere zur Hand genommen und zeigte seinen Gästen eine kleine sich verjüngende Hülse, „stecken also Zünd- und Treibladung sowie das eigentliche Geschoss.“
„Das ist ja phantastisch! Ich kann es immer noch nicht glauben. Und unsere Soldaten mühen sich mit den umständlichen Vorderladern ab und sind nach jeder Schießübung schwarz vom Pulverdampf.“ Franz sah sich schon bei der Überzeugungsarbeit, seine Vorgesetzten für das revolutionäre Waffensystem zu begeistern, als Borowsky eine wenig erfreuliche Bemerkung machte.
„Nun, die Soldaten werden wohl noch eine Weile warten müssen. Pauly, ein Pariser Büchsenmacher, ist nämlich nach England ausgewandert, weil die französischen Behörden seine Erfindung nicht gekauft haben. Der Verantwortliche im Patentamt muss wirklich schwachsinnig gewesen sein, wenn man bedenkt, dass im Jahre 1812, also während der napoleonischen Eroberungsfeldzüge, solche Waffen entscheidende Kriegsvorteile verschafft hätten. In England habe ich Herrn Pauly persönlich kennengelernt, daher auch die Waffe, und ich schätze den Herrn als einen Charakter, der nicht gewillt ist, sein Patent zu verschleudern. Die Staatskassen deutscher Fürstentümer und Königreiche dürften nach den teuren Kriegen leer sein. An Ihrer Stelle würde ich mir keine große Hoffnung auf kostspielige
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