Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
stecke die Degenklinge immer noch in seinem Rücken. Er griff sich links an die Brust. Ihm wurde schwarz vor Augen, doch er kämpfte gegen die Ohnmacht, die ihn ins Dunkel fortreißen wollte. Er hörte die Stimme des Pastors wie von fern durch einen zähen Nebel. Lichtpunkte tanzten in der Schwärze, die sich unaufhaltsam über seine Augen senkte. Franz lehnte sich zurück und zwang sich, ruhig und gleichmäßig zu atmen. Er wusste nicht, wie lange er so dagesessen hatte, aber als er begriff, dass die wirr verschlungenen Ranken vor seinen Augen zur Schnitzerei des Gestühls gehörten, tönte bereits ein vielstimmiges „Amen“ durch das Kirchenschiff.
Ein Lied schwang sich zur Decke auf. Franz kannte es nicht, er hatte auch kein Gesangbuch zur Hand und so schwieg er.
Er war heilfroh, heute keine Einladung beim Pastor absolvieren zu müssen und eventuellen Fragen zur Predigt entkommen zu sein.
Unruhe im Gestühl zeigte ihm an, dass der Gottesdienst beendet war. Er erhob sich vorsichtig, er wusste nicht, was seine Knie machten, wenn er sie gebrauchen wollte.
Gott sei Dank, seine Beine gehorchten ihm. Benommen sah er sich um. Er entdeckte Stein und gesellte sich zu ihm. Mit dem älteren Mann an der Seite gewann er schnell seine gewohnte Sicherheit zurück. Er blickte verstohlen in die Runde, ob in irgendeinem Gesicht zu lesen war, dass man um sein „Unwohlsein“ wisse. Aber viele Gesichter waren in sich gekehrt oder ausdruckslos.
Vor ihnen, im Gedränge, wippten die blonden Köpfe der Zwillinge. Kaum dem Kirchlein entronnen zerfiel die Menschenmenge in kleinere Grüppchen. Stein und Franz traten auf den Kirchenvorplatz hinaus, da steuerten Maximilian und Adam auf sie zu.
„Gott zum Gruß, gnädiger Herr.“ Die Zwillinge hatten nicht nur wie aus einem Munde gesprochen, sie hatten mit derselben höflichen Geste die Mützen gelüftet und sich verbeugt. Franz war nach Lachen zumute, der geschwisterliche Gleichklang wirkte einfach komisch, aber das war gewiss nicht beabsichtigt gewesen, deshalb riss er sich zusammen. An diesem Sonntag konnte man die Zwillinge sogar auseinanderhalten. Adams Gesicht hatte inzwischen eine gesunde Bräune angenommen, nur auf Nase und Wangenknochen zeigten sich hellere Flecke, dort schimmerte schon neue Haut hervor und die alte war im Begriff, sich abzulösen.
Die Brüder sahen sich kurz an und waren stillschweigend übereingekommen, Adam solle das Sprechen übernehmen. Der Junge hatte seine Mütze mit beiden Händen vor die Brust gepresst und spulte einen offenbar eingeübten Text herunter.
„Ich hatte bisher keine Gelegenheit, Euer Gnaden und dem Herrn Verwalter meinen innigsten Dank auszusprechen für die Fürsorge, die die Herren mir haben angedeihen lassen. Ich möchte mich für mein unüberlegtes Handeln entschuldigen und versprechen, dass ich Euer Gnaden und dem Herrn Verwalter nie wieder Kummer machen werde.“ Aus den erwartungsvollen jungen Gesichtern starrten zwei blaue Augenpaare auf die Männer.
Während Franz sich noch über Adams gepflegte Sprache wunderte, hatte Stein bereits eine Antwort parat.
„Nun, den größten Kummer wirst du dir selbst und deinem Bruder zugefügt haben. Landarbeit ist kein Zuckerschlecken.“
„Ja, Herr.“
„Gut, gut. Mit der Zeit kommt ihr schon zurecht.“
„Ja, Herr.“ Die Zwillinge hatten wieder wie aus einem Munde geantwortet. Franz lächelte und auch Stein konnte ein Grinsen nicht mehr unterdrücken und es war, als pflanzte es sich auf den beiden jungen Gesichtern der Zwillinge fort. Ihre Anspannung war verflogen.
Die Männer wurden von anderer Seite in Anspruch genommen. Der übliche Austausch von Höflichkeiten und Einladungen begann.
Franz war es nicht gewohnt, im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses zu stehen. Es wogte verwirrend viel Volk um ihn herum und allenthalben stellte sich ein Mitglied der Dorfgemeinschaft persönlich vor. All die Namen und Stellungen zu behalten, gab Franz bald auf. Er registrierte den derben Handgriff des Schmiedes und die rot glühende Schnapsnase des Stellmachers noch als Etwas, was sich aus der allgemeinen Masse heraushob. Er lächelte zuvorkommend und machte höflich Konversation, aber im Grunde trachtete er nur danach, dem Menschenknäuel zu entkommen.
Richtiggehend erschöpft zog er sich in sein Schlafgemach zurück, warf sich angekleidet aufs Bett und starrte hinauf zur Zimmerdecke. Dort oben geisterten bizarre Schatten, hingeworfen von filigranen Ästen einer Hängebirke und
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