Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
– und sie traf mitten ins Schwarze. Lapérouse, der es tatsächlich fertig gebracht hatte, etwas Hämisches in seinem entstellten Antlitz unterzubringen, entgleisten die Gesichtszüge. Ein Schatten huschte über seine hellen Augen und färbte sie dunkel. Franz registrierte jede Veränderung peinlich genau.
„Möchten Sie wissen, woher ich das weiß?“, fragte er und musste nicht lange auf eine Antwort warten – Lapérouse nickte lebhaft.
„Sie hat meinem Bruder Liebesbriefe geschrieben! Den letzten fand Kommissär Goltzow. Der respektable Herr steht hier in Rostock in der Verantwortung, mysteriöse Todesfälle aufzuklären. Und wissen Sie, wo er ihn gefunden hat?“
Lapérouse schüttelte etwas zu hastig den Kopf, gleich darauf verzog er schmerzerfüllt das Gesicht.
„In der Brusttasche des Hausmantels ihres vergifteten Gatten!“
Die Verwandlung, die nun folgte, war überaus verblüffend. Lapérouse wurde mit einem Schlage bleich. Er starrte Franz ungläubig an, seine Augen füllten sich wider Erwarten mit Tränen, eine stahl sich sogar über die geschwollene Wange davon.
Zunächst irritierte Franz die Anteilnahme an Frau Käglers Schicksal. Mit seinen Enthüllungen hatte er Lapérouse lediglich wissen lassen wollen, er sei über viele Dinge im Bilde, war auf die Brocken, die häppchenweise dargeboten wurden, nicht unbedingt angewiesen. Dann durchfuhr ihn der Schock der Erkenntnis.
„Sie sind der Vater des Bastards! Hab ich recht? Gestern haben Sie sich nicht das erste Mal für meinen Bruder ausgegeben“, schrie er aufgebracht. „Die Briefe schrieb Frau Kägler nicht an meinen Bruder, sondern an Sie. An einen Mann, der noch nicht einmal der Geliebten den eigenen Namen preisgegeben hat.“ Franz’ Stimme hatte jeden Klang verloren, während er von dem sprach, was ihm mit einem Schlage klargeworden war. Er empfand Abscheu wie Mitleid, Abscheu für den Mann, der gefesselt auf der Schlafstatt saß. Dessen Gesicht, trotz der Entstellung, von Trauer gezeichnet war. Für Franz Bestätigung genug, seine Behauptungen seien die reine Wahrheit.
Was nützt die späte Trauer – jetzt – wo er zwei, nein, gleich drei Menschen ins Unglück gestürzt hat – dachte Franz angewidert.
Er empfand Mitleid mit der Frau und Mitleid mit ihrem ungeborenen Kind. Er fragte sich, ob Johanns verlorene Ehre ebenso schwer wog wie das verpfuschte Leben einer jungen Frau. Bei einem milden Urteil würde sie es hinter Festungsmauern verbringen müssen. Wohl kaum, gestand er sich ein, auch wenn es um die Ehre des eigenen Namens ging. Franz bedauerte es, dass Friederike Kägler für ihn kein anonymes Frauenzimmer war. Doch sofort überwog die Scham, solche Überlegungen überhaupt angestellt zu haben. Was wäre gewesen, wenn sie ein Kind vom Bruder empfangen hätte. Der kleine Bastard wäre dann ein Mitglied der eigenen Familie gewesen! Franz warf die Begriffe Neffe und Nichte gedanklich hin und her.
Was war ein Name wert? War er mehr wert als das freudlose Leben eines elternlosen Kindes? In Franz’ Innern zog sich alles zusammen. Seine Wertvorstellungen waren einmal einfach gewesen, doch das Leben war nicht einfach. Das Leben lehrte, ständig Kompromisse eingehen zu müssen.
Franz raffte sich dazu auf, Lapérouse einen Handel anzubieten. Er beruhigte sein Gewissen damit, er tue dies nicht für den Ausbund an Niedertracht, der Friederike Kägler zu einer Verzweiflungstat getrieben hatte, sondern für die junge Frau und ihr ungeborenes Kind und für Johann. Die Verfehlung des Bruders hatte angesichts der Tragödie ohnehin etwas an Dramatik verloren.
„Sagen Sie mir alles, was Sie über meinen Bruder wissen, dann erfahren Sie von mir, wie weit Goltzows Ermittlungen gehen, auch im Hinblick auf den Geköpften von St. Johannis“, bot er an.
Lapérouse reagierte nicht.
Er sah abwesend aus, saß mit hängenden Schultern reglos auf dem Bett.
„Haben Sie gehört?“
Der Gefangene nickte. Er nahm den Stift zur Hand und kritzelte einen kurzen Satz aufs Papier.
Franz las ihn und nickte ebenfalls. „Christian, lass uns bitte allein“, sagte er fest, ging aber auf den Freund zu und klopfte ihm beruhigend auf die Schulter. Christian tat einen tiefen Atemzug, bevor er sich ohne ein Wort zurückzog. Er hatte Franz noch einen warnenden Blick zugeworfen und zu verstehen gegeben, unten Posten zu beziehen.
Franz schloss die Tür hinter ihm. Die Zeiger der Uhr waren inzwischen auf die neunte Stunde vorgerückt. Es blieb ihnen also nicht
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