Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
blutbesudelter kümmerlicher Fetzen geblieben.
Des Nachts hatte Franz einige Male verhaltenes Stöhnen gehört, deshalb stahl er sich aus dem Zimmer.
Sein untrügliches Zeitgefühl hatte ihn zwar aufwachen lassen, doch in seinen Knochen fühlte er jene bleierne Schwere, die stets zurückbleibt, wenn man nicht lang genug geschlafen hat. Franz gähnte ungeniert in den Flur und dachte daran, nun schon drei aufeinanderfolgende, sehr kurze, aber dafür ereignisreiche Nächte hinter sich gebracht zu haben.
Vor Johanns Tür blieb er stehen und horchte. Doch das Schnarchen aus dem Nachbarzimmer durchdrang mühelos Wände und Türen und überlagerte alle Geräusche im Haus.
Er klopfte, weil es klar war, dass bei diesem Lärm niemand schlafen könne, Lapérouse selbstverständlich ausgenommen.
Er sollte recht behalten. Christian machte sich an der Tür zu schaffen, die ihm aber genauso wenig zu Willen war wie allen anderen, die sich zuvor an ihr versucht hatten. Franz überließ seinem Freund die Auseinandersetzung mit dem widerspenstigen Stück Holz und lehnte sich lässig an die Brüstung der Galerie.
„Gut geschlafen?“, fragte er, als Christian endlich auf den Flur lugte. Die Frage schien überflüssig. Franz entdeckte über Christians Nasenwurzel eine tief eingegrabene senkrechte Falte.
„Kopfschmerzen?“, erkundigte er sich mitfühlend. Christian nickte, verdrehte die Augen und starrte unfreundlich in Richtung Nachbarzimmer. Er bat Franz herein und blinzelte ungläubig, als er ihn im Licht von Johanns Studierstube musterte.
„Lass das“, verbat sich Franz unwirsch. „Ich weiß selbst, wie ich aussehe.“
„Das bezweifle ich“, gab Christian zurück.
Franz bedachte den Freund mit einem strafenden Blick, während er ihm eine Geldbörse zuwarf. „Da du der Einzige bist, der sich in der Öffentlichkeit zeigen kann, ohne Aufsehen zu erregen“, erklärte er, „wirst du zum Einkaufen abkommandiert.“
Christian schnaufte resigniert. „Ich werd mich doch noch rasieren dürfen, bevor du mich aus dem Haus wirfst“, entgegnete er mürrisch. Er wartete jedoch Franz’ Erlaubnis nicht ab, baute sich breitbeinig vor dem Waschtisch auf, und begann sich den Bart aus dem Gesicht zu schaben. Franz verfolgte interessiert die Grimassen, die Christian zog und grinste hinter ihm in das Spiegelbild.
„Hör auf, mich zu erschrecken, sonst schneide ich mich noch“, neckte Christian. „Dann müssen wir hier verhungern.“
„Deine blonden Stoppeln sieht eh kein Mensch. Du musst dir mal Lapérouse anschauen. Bei dem kann man zusehen, wie der Bart wächst“, konterte Franz, der wusste, wie unglücklich Christian über seinen spärlichen Bartwuchs war.
„Soso“, quetschte Christian zwischen merkwürdig verformten Lippen hervor. „Mir ist es nur recht, dass mir nicht so viel Gestrüpp unter der Nase wuchert“, meinte er scheinbar gelassen. „Wenigstens sehe ich am Abend nicht wie ein gemeiner Strauchdieb aus.“
Franz lächelte über den Vergleich, den er vor kurzem selbst angestellt hatte
„Was kann er essen?“, fragte Christian das bizarr gefärbte Spiegelbild seines Freundes.
„Bring am besten Milch und Weißbrot mit, das können wir zusammenbrocken“, sagte Franz. „Und für uns etwas Handfestes. Ich habe mächtigen Hunger.“ Sein Magen knurrte passend zu seiner Feststellung.
Christian hatte seine Toilette abgeschlossen und ging hinunter auf die Straße.
Franz öffnete das Fenster, wartete so lange, bis Christian die Gefahrenzone verlassen hatte, und goss das Rasierwasser aus. Dann kümmerte er sich um den eigenen Bartwuchs. Während er das eigene Spiegelbild anstarrte, fragte er sich pausenlos, was die Befragung von Lapérouse ans Tageslicht bringen würde. Die Erregung, die gleich nach dem Aufwachen nach ihm gegriffen hatte, steigerte sich bis ins Unerträgliche. Seine Finger zitterten und er musste aufpassen, sich mit dem scharfen Rasiermesser nicht zu schneiden. Er hielt inne und horchte in die Stille, setzte das Messer zu einem neuen Strich an, als die Geräusche von nebenan sich in steter Regelmäßigkeit fortsetzten.
In gut drei Stunden erwartete er Mudder Schultzen zurück.
Die alte Dame wird vermutlich ihren Schwager mitbringen, überlegte er.
Er hatte ihr Angst gemacht. Ohne Begleitschutz würde sie keinen Fuß in das eigene Haus setzen. Also mussten die drei Stunden genügen, um Lapérouse auszupressen. Nachdem Franz gehört hatte, zu welchen Intonationen Alans Gaumensegel fähig war,
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