Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
hatte er alle Hoffnungen fahren lassen, den Mann länger als eine Nacht in Mudder Schultzens Haus verstecken zu können.
Er reinigte das Messer sorgfältig und klappte es zusammen, sah abwesend auf seine Hand, wie die das Messer behutsam neben die Waschschüssel legte. Seine Füße setzten sich fast ohne sein Zutun in Bewegung und blieben vor dem Bett stehen, in dem Christian die Nacht verbracht hatte. Er dachte an sein Elternhaus, als er sich vor die Schlafstatt kniete, seine Hände andächtig faltete und betete, wie er es einst als Knabe getan hatte. Er erschauerte, als er eine sanfte Berührung spürte, so sanft wie von der Hand der Mutter, die seinen gebeugten Nacken gestreift hatte. Doch es war nicht Mutters Hand gewesen, sondern ein Lufthauch, der zum Fenster hereingeweht war. Er hatte elf Jahre und das Verschwinden des Bruders gebraucht, um die stille Zwiesprache wieder aufzunehmen. Er hatte es weder verstanden noch verwunden, weshalb seine Mutter vor ihrer Zeit hatte gehen müssen.
„Bitte, lieber Gott, lass ihn wissen, wo Johann ist“, murmelte er, „und lass mich stark sein, wenn er schlechte Nachrichten für uns hat.“
Franz stand ohne Hast auf und begab sich mit dem Vorsatz ins Studierzimmer, dort noch so lange Ordnung zu schaffen, bis Christian mit den Besorgungen zurückkehren würde.
Ihr Gefangener saß auf dem Bett. Franz hatte ihm die rechte Hand losgebunden, die Linke steckte noch in der Schlinge, die er aus dem feinen Stoff des malträtierten Hemdes gewunden hatte. Lapérouse starrte missmutig an sich herunter. Wahrscheinlich bedauerte er es, ein Bekleidungsstück weniger zu besitzen.
Er hatte versucht, etwas Milch und aufgeweichtes Brot zu sich zu nehmen, doch schon nach wenigen Brocken hatte er den Teller kopfschüttelnd von sich geschoben.
Franz legte ihm eine Schreibunterlage mit Papier auf den Schoß und klemmte ihm einen Bleistift zwischen die Finger.
„Ich nehme an, Sie wissen, wo Sie sich befinden“, sagte Franz. Er verzichtete bewusst darauf, Lapérouse weiterhin zu duzen. Er wollte kein Gefühl von Vertraulichkeit aufkommen lassen. Christian hatte sich im Hintergrund postiert und lehnte im Türrahmen.
Franz zog umständlich seine Taschenuhr hervor und legte sie demonstrativ auf den Tisch.
„Wir haben noch ungefähr zwei Stunden Zeit, dann platzt eine uns beiden gut bekannte Dame in dieses Verhör.“ Franz unterbrach sich, um seine Worte wirken zu lassen. Genugtuend registrierte er bei Lapérouse das Wiedereinsetzen der konvulsivischen Zuckungen, die er schon am Vortag an ihm beobachtet hatte.
„Wir haben eine Abmachung. Ich habe meine Verpflichtung erfüllt, jetzt erwarte ich die Gegenleistung“, erinnerte Franz.
Lapérouse nickte.
„Wo ist mein Bruder, Johann von Klotz“, wiederholte Franz mit fester Stimme.
Lapérouse beugte sich über seinen improvisierten Schreibtisch und kritzelte etwas mit verschwollenen Fingern auf das Papier. Franz starrte gebannt auf die Buchstaben, die sich zu Worten formten. Er nahm den Zettel an sich, sobald Lapérouse mit seiner Antwort fertig war.
„Das kann ich unmöglich wissen. Ihr Bruder könnte überall auf dieser Welt sein“, las er vor. Christian rührte sich, doch Franz gab ihm mit einer Handbewegung zu verstehen, heute werde er nicht die Nerven verlieren. Eine seltsame Ruhe hatte sich seiner bemächtigt.
„Gut“, sagte er an Lapérouse gewandt. „Ich formuliere es anders. Wann und wo haben Sie meinen Bruder das letzte Mal gesehen?“ Er gab das Papier zurück und wartete auf die schriftliche Antwort. Diesmal schaute er zum Fenster hinaus, er hörte nur, wie die Mine des Stiftes über das Papier huschte. Zumindest hatte Johanns Sekundant etwas mitzuteilen, allein die Tatsache war schon mal erfreulich, redete er sich ein.
Lapérouse hielt ihm das Blatt hin. Er nahm es. Bereits die ersten Worte ließen sein Herz höher schlagen.
„In der Nacht vom 16. auf den 17. Juli in einem Wald westlich von Rostock“, las er vor. „Hast du gehört, Christian? Johann ist drei Tage, bevor ich nach Rostock gereist bin, in der Nähe gewesen!“, rief er freudig erregt. Er konnte es kaum fassen. Johann so knapp verpasst zu haben, erschien ihm unwirklich. Aber seine erste Freude bekam schnell einen Dämpfer, als er daran dachte, wie sich Johanns Unterkunft präsentiert hatte. Und die Wirtin, das war gewiss, hatte bestimmt nicht gelogen, als sie gesagt hatte, sie habe Johann über einen Monat nicht mehr gesehen.
„Das Duell? Was
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