Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
mehr viel Zeit, bis die Hausherrin das alte Gemäuer wieder in Besitz nahm. Was dann geschehen sollte, daran mochte er noch nicht einmal denken.
„Wir sind allein!“, begann Franz. „Kein Wort, das Sie betrifft, wird diesen Raum verlassen. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort!“ Kaum hatte er sein Versprechen gegeben, schon hatte er einen schalen Geschmack auf der Zunge. Einmal mehr ging es um die Ehre, alles drehte sich um die Ehre. Nur der Mann, der vor ihm auf dem Bett kauerte, hatte vermutlich nicht einen Funken Ehre im Leib. Konnte Lapérouse überhaupt ermessen, was ihm gerade angeboten worden war? Franz wagte, es zu bezweifeln.
„Sie sollten keine Zeit verlieren, die Wirtin kann jeden Moment auftauchen“, bemerkte er.
Seine neuerliche Ermunterung genügte. Lapérouse ließ den Stift über das Papier flitzen. Zu Franz’ Überraschung bediente er sich von nun an der französischen Sprache. Erst jetzt erkannte Franz die Handschrift wieder, die eng geschriebene Wörter dicht an dicht auf das Papier drängte. Wie es aussah, hatte Lapérouse eine Menge mitzuteilen, wie zuvor seinem geheimnisvollen Auftraggeber, für den er die Dossiers angefertigt hatte.
Franz’ Herzschlag beschleunigte sich. Er wähnte sich am Ziel seiner Ermittlungen und reckte den Hals, um das eine oder andere zu erhaschen, was da notiert wurde. Doch schon bald wies er sich zurecht, auf die paar Minuten käme es nun wahrlich nicht mehr an, bis er den Bericht würde lesen können.
Franz lehnte sich rücklings gegen den Fensterrahmen und ließ ein Bein leger baumeln. Die nervösen Zuckungen seiner Stiefelspitze verrieten seine Anspannung. Als er sich seines Gezappels bewusst wurde, stellte er das Bein ab. Er bemühte sich krampfhaft, zu verbergen, wie erregt er war, musste sich jedoch bald eingestehen, es nicht zu können.
Ohne Lapérouse aus den Augen zu lassen, gestattete er sich hin und wieder einen Seitenblick auf die Straße. Er verspürte wenig Lust, sich von Mudder Schultzens Ankunft überraschen zu lassen.
Nach einer Weile machte Lapérouse mit einer plötzlichen Bewegung auf sich aufmerksam. Er hielt Franz den Stift hin. Die Mine war heruntergeschrieben.
Franz verließ seinen Beobachtungsposten, zog aber vorsichtshalber erst das Stilett, bevor er sich in Lapérouses Nähe begab. Der lauernde Blick, mit dem er taxiert wurde, gab ihm auf, besser Vorsicht walten zu lassen. Auch wenn der Gefangene mit der Absicht gespielt haben mochte, den Moment der Übergabe des Stiftes für einen Angriff zu nutzen, so hielt ihn die Waffe in Franz’ Faust davon ab.
Franz ging kein Risiko ein. Während er den Stift anspitzte und die Späne achtlos zu Boden fallen ließ, hielt er gebührenden Abstand. Als er fertig war, warf er den Bleistift mit lässigem Schwung aufs Bett. Er lümmelte sich auf die Fensterbank, nur um wie von der Tarantel gestochen hochzufahren.
„Die Wirtin ist im Anmarsch!“, stieß er hervor. „Ich schließe Sie ein. Sie schreiben weiter und keinen Ton!“, kommandierte er. Im Hinauslaufen riss er den vollgekritzelten Zettel an sich und schob das Nachtgeschirr in Lapérouses Reichweite. Dann warf er die Tür zu und schloss hastig ab. Eines war gewiss, sein Gefangener würde bewusst keinen Laut von sich geben, und Franz hoffte inständig, Lapérouse übermanne nicht der Schlaf, bevor sie ihn – nur Gott allein schien zu wissen wohin – würden fortschaffen können.
Auf der Galerie steckte er eilig das Papier ein. Von unten drangen bereits Stimmen herauf.
„Ach, Sie sind Herr Doktor Ahrens! Wie nett, Sie endlich persönlich kennenzulernen“, lärmte Mudder Schultzen. „Herr von Klotz ist leider noch nicht da, er wollte erst später ...“
„Ist schon gut, Frau Schultz. Ich konnte mich früher aufmachen als gedacht! Guten Morgen allerseits“, begrüßte Franz den Menschenauflauf, der sich unten im Flur drängte. Neben Ernst und Christian stand ein Fremder, vermutlich der bereits erwartete Schwager.
Die Wirtin wirbelte herum und starrte hinauf.
„Meine Güte, Franz!“, rief sie erschrocken aus. „Wer hat Ihnen denn so übel mitgespielt? Gut, dass ein Arzt im Hause ist! Bitte sehr, meine Herren, kommen Sie doch herein. Ich mach uns auf den Schreck gleich einen kräftigen Kaffee.“
Franz lief die Treppe hinunter und nahm ohne Widerrede ihr Angebot an. Alles, was sie nicht in die obere Etage ihres Hauses lockte, war ihm mehr als recht. Dazu ließ er sich sogar in ihrer guten Stube bedauern und ausfragen.
„Nein,
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