Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
hat sich da abgespielt“, fragte er und ließ das Papier auf Lapérouses Schoß gleiten, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Sein Blick wurde kurz erwidert, dann flitzte der Stift über die Seite.
„Sie wollen erst die Dossiers haben, bevor Sie meine Frage beantworten!“, stellte Franz fest, nachdem er das Gekritzel entziffert hatte. „Christian, sei so gut und erfülle den bescheidenen Wunsch“, sagte er betont gönnerhaft.
Während Christian der Bitte nachkam, sah Franz Lapérouse unverwandt an. Der hielt dem langen Blick stand. Nur das Zucken eines Augenlides verriet seine Nervosität. Fast sah es so aus, als ob er vertraulich zwinkere, doch Franz bemerkte das Berechnende in dem Blick und die Entdeckung lehrte ihn, vorsichtig zu sein.
Christian kam mit der gelben Aktenmappe zurück. Franz nahm sie an sich und blätterte provokant zwischen den eng beschriebenen Seiten.
„Ich will gar nicht wissen, warum und in wessen Auftrag Sie diese Informationen zusammengetragen haben. Nur möchte ich Sie auf Folgendes aufmerksam machen: Ich besitze ein äußerst präzises Gedächtnis. Alles, was ich einmal gelesen habe, kann ich Wort für Wort abrufen und niederschreiben.“ Franz klappte die Mappe zu und warf sie achtlos aufs Bett.
Lapérouse kniff die Augen zusammen und schaute ihn feindselig an. Franz hingegen war äußerst zufrieden mit der Wirkung seiner Worte. Druckmittel sollte man nie ohne guten Grund aus der Hand geben, das war eine der ersten Lektionen, die er auf der Kriegsschule gelernt hatte.
„Sie sind dran“, meinte er aufreizend lächelnd.
Lapérouse verfärbte sich. Sein blutunterlaufenes Jochbein hob sich nicht mehr gar so drastisch von seiner übrigen Gesichtsfarbe ab. Er gab einen gurgelnden Laut von sich, bevor er etwas auf das Blatt Papier kritzelte. Doch dieses Mal hielt er es seinem Bewacher nicht hin.
Als Franz an Lapérouse herantrat, nahm er den beißenden Geruch wahr, den sein Gefangener ausdünstete. Angst kann man riechen, auch das hatte er auf der Kriegsschule gelernt.
Er nahm das Blatt Papier an sich. „Johann ...“, las er laut vor und brach unvermittelt ab. Das, was dort geschrieben stand, war nicht weniger dramatisch als die Tatsache, dass Johann Genugtuung für eine Beleidigung verlang hatte.
„Was ist los?“, fragte Christian besorgt. Er löste sich vom Türrahmen und nahm Franz die Bleistiftkritzeleien aus der Hand. Hastig überflog er die knapp gehaltene Antwort. „Johann hat sich nicht gestellt, alles andere geht Sie nichts an“, murmelte er tonlos.
Franz schwieg betroffen. Er wusste nicht, ob er sich freuen oder empört sein sollte. Die widersprüchlichsten Gefühle stürmten auf ihn ein. Hatte er nicht Grund zur Freude? O ja, den hatte er, diese Frage konnte er eindeutig bejahen! Denn wenn Johann nicht gekämpft hatte, blieb ausgeschlossen, dass sein Bruder körperliche Verletzungen davongetragen hatte! Aber was war mit seiner Ehre? Johann hatte unter den Regeln eines Ehrengerichts Satisfaktionsunfähigkeit bewiesen. So etwas hatte unweigerlich Verruf zur Folge. Mit einem Male lagen die Gründe für Johanns Verschwinden sonnenklar auf der Hand. Es war nichts weiter als eine Flucht vor der Schande gewesen, stieß es Franz bitter auf. Johann hatte seine Ehre beschmutzt! Er hatte dem Familiennamen einen unaufhebbaren Makel zugefügt.
Aber wohin hatte er sich gewandt? Wo hatte er die letzten Wochen verbracht? Das Duell war nach Lapérouses Aussage erst vor wenigen Tagen angesetzt worden. Und am Abend des 16. Juli war er zumindest am vereinbarten Ort gewesen.
Vor wenigen Tagen war auch eine Leiche gefunden worden! Was war im Barnstorfer Wald bei der verhängnisvollen Begegnung angerichtet worden? Waren Frieder und der Kopflose tödlich verletzt worden? Wenn Johann dort war, warum sollte er sich nicht gestellt haben? Irgendetwas stank doch gewaltig zum Himmel.
Franz’ Augen verengten sich zu Schlitzen, als er Lapérouse scharf fixierte.
„Worin lag der Grund für den Ehrenhandel meines Bruders“, fragte er frostig.
Die Antwort geriet knapp.
„Ehebruch mit Folgen“, las Franz. In jedem anderen Zusammenhang hätte er das Vergehen als Kavaliersdelikt in sein persönliches Rechtsempfinden eingeordnet, aber heute Morgen fiel ihm der laxe Umgang mit so einer Tatsache außerordentlich schwer. Eine geschwängerte Frau im Stich zu lassen, war in seinen Augen mindestens so ehrlos, wie einen Ehrenhandel auszuschlagen.
„Friederike Kägler?“ Der Name war eine Frage
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