Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
und öffnete ihn. Der Inhalt überraschte Franz nicht; dort lagen – in dunklem Samt gebettet – zwei einfach gearbeitete Duellpistolen.
Sowohl Hans-Georg als auch Lapérouse hatten von einem Degenduell gesprochen. Hatte Kägler vorgehabt, Johann umzustimmen, und Schusswaffen beschafft? Erst bei der Untersuchung der Waffen rückte es Franz ins Bewusstsein, dass Kägler tot war.
Wer war sein Mörder? Lapérouse oder Frieder? Oder vielleicht beide? Was war eigentlich aus Käglers Zeugen geworden? Warum hatten die sich nicht den Behörden mitgeteilt und die vermeintlichen Täter angezeigt?
Franz schaute nachdenklich in den Lauf der Pistole, die er in der Hand hielt. Er stutzte, denn deren Lauf war gezogen, was für eine Duellwaffe nicht üblich war. Hastig riss er auch die andere Waffe aus dem Futteral. Deren Mündung war glatt, er konnte keine umlaufenden Einkerbungen im Inneren des Laufs erkennen, demnach handelte es sich um eine übliche Duellpistole, deren Treffsicherheit nicht annähernd so genau war, wie die der anderen mit gezogenem Lauf. Die Zündpfannen beider Waffen fand er sorgfältig gesäubert vor. Misstrauisch geworden zog Franz einen Ladestock heraus, um die Filzpfropfen zu entfernen, die Kugeln und Treibladungen in den Läufen hielten. Er griff sich zwei Bogen Papier und schüttete die Ladungen beider Pistolen nebeneinander auf den Tisch. Die Waffe mit dem gezogenen Lauf hatte eine ausreichende Menge Pulver enthalten, um eine Kugel mit der nötigen Zerstörungskraft ein Ziel erreichen zu lassen, die andere Waffe jedoch nicht.
Hier war eindeutig manipuliert worden. Plötzlich kamen Franz Zweifel zu den tatsächlichen Besitzverhältnissen, schließlich lag die Wahl der Waffen beim Herausforderer und Lapérouse hatte Jochen gedungen, genau so einen Kasten mitzubringen und zwar aus Johanns Wohnung. Oder hatte Jochen seinen Auftraggeber in der Aufregung nur missverstanden? Letztendlich hatte der Junge nichts gefunden.
Franz zog sich die Stiefel aus und tastete sich vorsichtig vor. Besonders sorgfältig untersuchte er die Dielung in der Nähe der Türschwelle, nichts, kein Brett war lose. Er prüfte jede Diele von Schlafkammer und Studierzimmer, musste jedoch bald einsehen, kein ähnliches Versteck ausfindig machen zu können.
Missmutig sah er in Richtung Nachbarzimmer und überlegte, ob er es ein zweites Mal aufsuchen und das Risiko einer Entdeckung in Kauf nehmen sollte. Doch seine Finger griffen bereits nach dem Schlüssel und seine bestrumpften Füße hatten schon ein paar Schritte getan. Plötzlich hielt er inne. Lapérouse hatte Schweiß auf der Stirn gestanden, als er aufgefordert worden war, seine Bleibe zu verlassen. Es könnte doch sein, dass nicht starker Schmerz, sondern körperliche Anstrengung den Schweißausbruch verursacht hatte. Und wo war die Mappe mit den Dossiers abgeblieben? In Lapérouses Rock konnte sie nicht gesteckt haben. Den hatte Christian bei der Ankunft in Mudder Schultzens Haus als weiteres Pfand an sich genommen, hatte ihn in Johanns Schlafkammer verwahrt. Mit nacktem Oberkörper und frisch genähten Wunden in das nächtliche Rostock zu entfliehen, hätte jeden vernunftbegabten Mann abgeschreckt.
Nein! Lapérouse war ganz und gar nicht dumm. Er hatte gewusst, dass seine Festsetzung von seinen privat motivierten Häschern früher oder später hatte aufgegeben werden müssen.
Franz presste die Lippen aufeinander. Jeder Gedanke an Lapérouse war ihm zuwider. Er war überzeugt davon, der Mann habe sich nicht das erste Mal prostituiert, sei es, um seine Ziele durchzusetzen, oder schlicht, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, bei welchem Geschlecht auch immer. Er war froh, seiner Gesellschaft ledig zu sein, obwohl er sich zugleich Sorgen machte, Johann könne erneut dem gewissen Charme erliegen, von dem Hans-Georg so geschwärmt hatte.
Es ärgerte ihn, dass sein Bruder und auch Charlottes Vetter aufrichtige Gefühle an so einen Menschen verschwendet hatten. Was Franz zugleich verwirrte, war sein Versuch, nachzuempfinden, wie sich Johann gefühlt haben mochte, als er begreifen musste, anders zu sein. Bisher hatte Franz angenommen, gesellschaftliche Isolation und mangelnde Alternativen können Männer dazu bringen – sozusagen aus der Not heraus – mit dem eigenen Geschlecht vorlieb zu nehmen. Doch Johann hatte es nie an Alternativen gemangelt. Er hatte sich Hals über Kopf in einen Mann verliebt, allein diese Tatsache dürfte ihn mächtig durcheinandergebracht
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