Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
auf dieser Seite!“ Der Arzt schlug sich auf die linke Seite und fing erneut an, zu lachen.
Franz schaute an sich hinunter. Hatte er seine Besonderheit bereits verinnerlicht? In der Tat – es war ihm nicht aufgefallen, sich verraten zu haben.
Seit dem Tag seiner schweren Verletzung hatte er sich geschworen, niemals wieder das Schicksal herauszufordern, und beschlossen, sein Geheimnis zu bewahren. Deshalb ließ er sich von der Heiterkeit des Arztes anstecken und stimmte in Ahrens Gelächter ein.
„Oh, ich habe vergessen, Ihnen von einer schweren Erkrankung zu berichten, an der ich seit frühester Kindheit leide.“
Ahrens würgte sein Lachen hinunter und sofort gewann der Arzt die Oberhand über seine Erheiterung. Franz bemerkte die Verwandlung seines Gegenübers.
„Ich leide an einer Rechts-Linksschwäche, Herr Doktor!“
Anfangs bemühte sich Franz noch um Ernsthaftigkeit, doch dann konnte er nicht mehr an sich halten und prustete los.
Als Ahrens begriff, einer Retourkutsche aufgesessen zu sein, gab es kein Halten mehr. Beide wollten sich ausschütten vor Lachen.
„Wir sollten, so schlage ich vor, den förmlichen Umgang miteinander lassen, ich heiße Ernst.“ Ahrens streckte Franz die Hand entgegen, die der sofort freudig ergriff.
„Und ich bin Franz, wie du weißt.“
Nachdem sich beide einigermaßen beruhigt hatten, kehrten ihre Gedanken zu Franz’ Anliegen zurück.
„Was hast du morgen vor?“, wollte Ernst wissen.
„Zuerst werde ich zu dem Kaufmann gehen, bei dem mein Bruder Geld deponiert hat. Du hast bestimmt mit deinen Patienten zu tun. Wann ist dir mein Kommen recht?“
„Über Mittag habe ich zwei Stunden Zeit. Am besten du bist gegen 12.00 Uhr bei mir. Du findest mich dort, wo du auf dem Pflaster gelandet bist. Ich praktiziere in der ersten Etage.“
Franz nickte. „Gut“, sagte er und schaute sich um, „wo sind wir hier überhaupt?“
„In der Langen-Straße, das ist eine der Hauptachsen der Stadt in Ost-Westrichtung. Es ist nicht mehr weit, dann biegen wir rechts in die Eselföter ein.“
Kurz darauf erreichten sie die Einmündung.
„Ich muss mich verabschieden. Meine Frau wird sich sorgen, wo ich so lange bleibe.“
Franz hörte ein verdächtiges Grummeln und ihm fiel ein, dass Ernst in der Gaststube nichts gegessen hatte.
„Wird sie sehr böse sein?“, fragte er mitfühlend.
„Ich glaube nicht! Charlotte ist ein sehr angenehmer Mensch. Vielleicht schläft sie schon“, hoffte Ernst.
„Dann sollten wir das auch tun. Schlaf gut, bis morgen.“
„Ja, ebenso, bis morgen.“ Franz ging zügigen Schrittes in Richtung Quartier, nicht nur weil ein Nachtwächter hinter ihm herrief, wie viel die Uhr geschlagen hatte, und die Leute aufforderte, zu Bett zu gehen. Er war tatsächlich sterbensmüde, aber er bezweifelte den Sinn nachtwächterischer Bemühungen. Dessen lautstarke ständige Wiederholung war für nichts anderes gut, als die Bewohner der Stadt im seligen Zustand des Schlafes zu stören.
Gespenster und andere Überraschungen
Als Anne durch den dunklen Garten huschte, erinnerte sie sich an die frühe Stunde am Morgen. Sie hatte voller Wehmut dem Gespann nachgeschaut, bis das Gefährt vom Wiesendunst verschluckt worden war. Über ihre Wangen waren Tränen gelaufen, die sie mit einer verstohlenen Geste fortgewischt hatte.
Nun war es bereits Nacht, aber im Herrenhaus brannte noch Licht. Vorsichtig schob sie sich durch die Rabatten des Blumengartens und pirschte sich an das große Haus heran, genauer gesagt an ein Fenster, dessen Flügel offen standen. Die Ungehörigkeit ihres Betragens war ihr durchaus bewusst. Jedoch sie konnte dem Drang nicht widerstehen, Näheres darüber in Erfahrung zu bringen, worüber sich jedermann auf dem Gut den Kopf zerbrach.
Tagsüber hatte Anne alle Quellen angezapft, aber selbst die Köchin hatte ihr keine zufriedenstellende Auskunft geben können. Elsi und Eleonore hatten in der Küche beim Bohnenschnippeln beieinandergesessen und Mutmaßungen zu der überstürzten Abreise des jungen Herrn angestellt. Auch der Schwächeanfall des Grafen war Thema des Küchenklatsches gewesen. Elsi hatte gemunkelt, all das müsse mit Johanns Fernbleiben zu tun haben.
Anne kauerte sich unter das Fenster und versuchte angestrengt, die Wort- und Satzfetzen zusammenzufügen, die bei ihr ankamen.
„...ist doch nicht das erste Mal ...“
„...kann ... dafür ...“, verstand sie. Anhand der unterschiedlichen Stimmlagen und Betonungen konnte
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