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Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)

Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)

Titel: Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Herbst
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geschickt gelungen, Napoleon bis zum Winteranfang in Russland festzuhalten. Im September eroberte der Korse zwar Moskau, aber der angebliche Triumph war nur ein Pyrrhussieg und der Anfang vom Ende der Grande Armee. Das alles geschah ohne massive militärische Auseinandersetzungen mit dem Feind.“ Seine Zuhörer lauschten gebannt. Man sah ihnen die Freude an, endlich Abwechslung zum alltäglichen Kneipenklatsch gefunden zu haben.
    „Ich habe gehört, mehr als hunderttausend Soldaten sollen verhungert und erfroren sein“, sagte ein junger Mann mit schütterem Haar.
    Der Frager von vorhin murrte. „Und was hat das Ganze mit preußischem Hochverrat zu tun?“
    „Dazu komme ich sofort.“ Beschwichtigend griff Franz den Faden wieder auf. „Sie haben recht“, nickte er dem jungen Mann mit dem schütteren Haar zu, „von 600.000 Mann, die Napoleon nach Russland geführt hat, sind nur 45.000 zurückgekommen – über die Grenze des Riesenreiches.“
    Ob der ungeheuerlich hohen Zahl an Verlusten erhob sich ungläubiges Gemurmel.
    „Aber wir haben vorgegriffen“, bemerkte Franz und holte erneut aus. „Kaum dass Napoleon seinen Einzug in Moskau richtig feiern konnte, wurde bemerkt, die Stadt sei völlig geräumt worden. Man konnte zwar Quartier beziehen, aber die Vorräte, die von den Russen zwangsläufig zurückgelassen worden waren, reichten bei weitem nicht aus, die einrückenden Truppen zu ernähren. Napoleon stand im Kreml und wartete auf russische Unterhändler, die Friedensverhandlungen aufzunehmen gedachten, sprich – die Besiegelung der Kapitulation vorbereiteten. Doch die Generäle mussten ihrem ungehaltenen Kaiser beibringen, es gebe keine Unterhändler. Niemand trat in Verhandlung. Und dann geschah das Unfassbare.“
    Glänzende Augen, die nicht nur der Alkohohl zum Glitzern gebracht hatte, versicherten Franz die uneingeschränkte Aufmerksamkeit seines Publikums.
    „Moskau brannte! Die Franzosen hatten die Hauptstadt ihres Feindes nicht angesteckt, die nach Napoleons Plan als Winterquartier hatte dienen sollen. Nein, die Russen selber waren es. Napoleon zögerte noch vier verhängnisvolle Wochen lang, dann blieb ihm nichts anderes übrig, als den Rückzug durch ein zuvor völlig verwüstetes und ausgeplündertes Land anzutreten – und das im berühmt berüchtigten russischen Winter. Hinzu kam, dass die Pferde der französischen Truppen nur nachlässig beschlagen worden waren. Auf Schnee und Eis, ohne stollenbewehrte Hufeisen, stürzten die Tiere mit Reiter, Wagen oder Lafette in den Tod.“ Franz nahm einen großen Schluck aus seinem Bierkrug. Die übrigen Männer am Tisch taten es ihm nach.
    „Und nun zu Ihnen.“ Franz wendete sich an den Frager im Dunkeln. „Wir standen in Kurland zum Flankenschutz der ‚Großen Armee‘ bereit, in der, nebenbei gesagt, der Anteil an Franzosen nur verschwindend gering war, haben also glücklicherweise nicht an dem Russlandfeldzug teilnehmen müssen.“
    „Hatte nicht so viel Glück wie Sie, mein Junge! Nur nebenbei gesagt.“ Der Frager aus dem Dunkeln beugte sich vor und schob seinen rechten Arm auf den Tisch. Der Mann verengte seine Augen zu Schlitzen und presste verbittert die Lippen aufeinander. Der weite Hemdsärmel verbarg den Zustand seines Unterarmes, eine Hand war nicht zu sehen. Ein hölzernes Klopfen drang unter dem Tisch hervor und verriet den Tischgenossen, wie es um ein Bein des Versehrten bestellt war.
    „Oh, das tut mir sehr leid“, bekannte Franz ehrlich betroffen. Er hatte sich nur an die Fakten gehalten, Schnörkel und Ausschmückungen lagen ihm ohnehin nicht. Einem Mecklenburger Veteranen zu begegnen, der das Martyrium des Russlandfeldzuges selbst erlebt hatte, war nicht alltäglich. Franz wusste, dass von den 2.000 Mecklenburgern, die Napoleon hatten folgen müssen, nur 135 Mann zurückgekehrt waren. In welchem körperlichen oder seelischen Zustand beschrieb freilich keine Notiz.
    „Möchten Sie uns davon erzählen?“, fragte Franz und deutete auf den leeren Hemdsärmel.
    „Nein!“, gab der Gefragte entschieden zurück, „ich weiß keine Heldentaten zu berichten. Hab auf der falschen Seite gestanden. Hab nicht wissen können, für wen ich kämpfen würde, als ich mein Handgeld nahm.“
    „Mir ist es genauso ergangen“, stellte Franz trocken fest, „interessiert Sie der Fortgang der Geschichte noch?“
    „Sonst hätte ich nicht gefragt“, bemerkte der Invalide knapp. Er zog sich in das Dämmerlicht zurück und überließ Franz die

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