Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
sie das jeweils Gesagte lediglich dem Grafen oder dem Verwalter Stein zuordnen. Der Sinn der Unterredung blieb ihr verschlossen.
„... müssen doch ein Einsehen haben ...“, hörte sie gerade. Sie konzentrierte sich so darauf, etwas zu erhaschen, dass sie ihre Umgebung vergaß. Als eine kalte Schnauze sie anstupste, schnellte sie mit einem Schreckenslaut in die Höhe. An die Wand gelehnt, eine Hand vor den Mund gepresst, verharrte sie. Zu ihren Füßen wuselte Zeus herum. Beim freudigen Rutewedeln brachte der Welpe sein Hinterteil in Bewegung. Er schnüffelte an Anne herum, schnappte frech nach ihr, gleich darauf zwickte er in den Saum ihres Rockes und zerrte respektlos. Der Welpe knurrte mit geschlossenem Maul, um so den vermeintlichen Gegner einzuschüchtern. Anne brach der Schweiß aus. Schon hörte sie Schritte. Jemand beugte sich aus dem Fenster heraus. Noch schwankend, ob sie flüchten oder dableiben solle, wurde ihr glücklicherweise die Entscheidung abgenommen.
„Sei still, du Rattenfänger, gleich geht’s ins Körbchen“, tönte es vom Fenster, das gleich darauf geschlossen wurde.
Anne wagte wieder zu atmen. Sie beeilte sich, den kleinen Verräter loszuwerden. Aber das war nicht so einfach. Zeus hatte Gefallen an dem Spiel gefunden und wollte partout nicht loslassen. Anne, die sich schon vor Entdeckung sicher geglaubt hatte, verzweifelte. Sie wusste sich nicht anders zu helfen, als den kleinen Angreifer mit sich zu schleifen. Erst einmal weg vom Fenster war ihr einziger Gedanke. Sie hatte gerade die Rosenlaube erreicht, da knirschten auf dem Kiesweg, der um das Haus herumführte, Schritte. Sie kauerte sich unter die Bank und meinte, das Herz müsse ihr stehenbleiben.
Ein Pfiff ertönte. Zeus spitzte die Ohren und ließ augenblicklich von Anne ab. Das Mädchen verfolgte mit seinen Blicken die weißen Bewegungen durch den Garten, die einem Zickzackkurs folgend dem Herrchen zustrebten. Wieder knirschten Schritte im Kies. Sie konnte noch Steins Murmeln hören, mit dem er das kleine Ungeheuer lobte. Dann wurde es still. Doch sie wagte immer noch nicht, sich zu rühren. So verharrte sie eine Weile.
Grillen zirpten in einem Konzert, das immer schriller wurde.
Der unheimliche Schrei eines Käuzchens trieb das Mädchen aus seinem Versteck. Anne rannte, verfolgt vom lautlosen Schatten des Raubvogels, durch den Garten, diesmal ohne Rücksicht auf die Blumen zu nehmen. Von der eher kurzen Strecke bereits erhitzt erreichte sie die hintere Brücke zur Mühle. Sie ließ das Backhaus rechts liegen, verharrte, um festzustellen, ob ein verspäteter Wanderer auf der Straße unterwegs war, die den Teich umfasste. Nein. Alles lag dunkel und still. Auf der gegenüberliegenden Seite der Straße schlug sie sich in die Büsche. Ihr Hemd klebte am Körper und ihr langes Haar, das in all seiner Üppigkeit unter der Haube hervorquoll, verfing sich ein um das andere Mal an kleinen Ästen des dornenbesetzten Gestrüpps. Jedes Mal, wenn sie auf diese Weise festgehalten wurde, erschrak sie abgrundtief. Sie bildete sich fortwährend ein, bereits von allen Teufeln und übel gesinnten Geistern verfolgt zu werden.
Atemlos erreichte sie den elterlichen Gemüsegarten und kletterte über dessen Einfriedung. Dabei verlor sie eine Pantine, störte sich aber nicht weiter daran, sondern hastete bis zum Schuppen.
Dort hatte sie die Leiter versteckt, mit deren Hilfe sie vor einer Stunde die winzige Kammer verlassen hatte, die sie sich mit ihren beiden kleinen Schwestern teilte. Als sie die Leiter anstellte, bemerkte sie, wie sie zitterte. Sie musste wohl oder übel eine kurze Verschnaufpause einlegen. Ihr fiel zu ihrem Verdruss ein, dass sie nach der schrecklichen Nacht auch noch als Erste aufstehen müsse. Wie wäre es ihr sonst möglich, die verräterische Leiter zurück zum Schuppen zu schaffen. Niemand durfte von ihrem nächtlichen Abenteuer erfahren, außerdem legte sie Wert auf ihren guten Ruf. Anne lauschte in die Nacht. Ein erneuter Käuzchenruf ließ sie ihre wackligen Knie vergessen. Leichtfüßig wie eine Katze kletterte sie die Sprossen hinauf.
Die Kammer war stockfinster, die Luft hier oben, trotz des offenen Fensters, stickig. Dennoch – in diesem Moment konnte sie sich keinen heimeligeren Ort vorstellen. Sie zog sich bis auf das Hemd aus. Es war unangenehm feucht, nur zu gern hätte sie es vom Körper gestreift, aber die Truhe mit ihrer Aussteuer stand in der elterlichen Stube und ihr Wechselhemd hing tropfnass unten im
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