Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
Ablenkung war Futter. Der Verwalter sperrte seinen vierbeinigen Freund zusammen mit einem Leckerbissen ein und befand, der Misthaufen des Kuhstalls sei für die Beseitigung der unerfreulichen Beute am ehesten geeignet. Der Geruch des Dungs würde die feine Nase des Rattenjägers überlisten.
Leise, um die Ruhe der Kühe nicht zu stören, öffnete Stein die Futterdiele und suchte im Dunkeln nach einer Mistforke. Er wusste genau, wo die Arbeitsgeräte zu stehen hatten, fand sie aber nicht.
Entweder, ich suche am falschen Platz oder die Forken sind nicht dort, wo sie zu sein haben, überlegte er.
Er hatte Stahl und Zunder dabei, aber es widerstrebte ihm, das Feuerzeug zu benutzen. Im Stall klirrten Ketten und die eine oder andere Kuh rührte sich.
Auf dem Rückweg stürzte er über etwas, was mit Sicherheit nichts mitten auf der Futterdiele zu suchen hatte.
„Zum Kuckuck noch mal, was soll denn das schon wieder. Na, der Gustav kann was erleben!“ Stein rappelte sich auf und tastete nach dem Gegenstand, der ihn zu Fall gebracht hatte. Insgeheim war er heilfroh, die Mistgabel nicht in der Hand gehabt zu haben. Vielleicht hätte er sich bei seinem halsbrecherischen Sturz damit umgebracht. Er tastete weiter, dann zuckte er zurück.
Seine Hand fühlte eine feuchte warme Masse.
„Ach, du großer Gott, das hat mir gerade noch gefehlt!“, entfuhr es Stein. Schnell untersuchten seine Finger das Etwas. Sofort bestätigte sich seine Vermutung, denn es ertönte ein empörtes Blöken. In der letzten Stunde war unbemerkt ein Kalb zur Welt gekommen. Stein huschte durch den Stall und zündete nun doch die Laternen an. Dann kletterte er von der Diele aus auf den Boden und stieß etwas Heu hinunter. Damit rieb er das Kälbchen trocken. Bei der Prozedur regte er gleichzeitig die Lebensgeister des Neugeborenen an. Das Köpfchen des Kalbes wackelte noch unsicher. Es versuchte in einem fort, mit energischem Kopfschütteln den Schleim aus Nase und Ohren loszuwerden. Der Verwalter überprüfte die Nabelschnur des Findelkindes, säuberte sie und kniff sie zwei Handbreit unter dem Rumpf ab. Der neue Erdenbewohner wurde aufgrund der Zuwendung etwas munterer und versuchte auf die Beine zu kommen.
„So ist es gut. Was bist du denn für einer? Ah, du bist eine. “ Stein streichelte das schwarzbunte Kalb. „So und jetzt geh ich deine Mama suchen“, versicherte er schon besser gelaunt.
Er schritt die Reihen der Kühe und Färsen ab, in der Hand eine Laterne. Hinter einer schwarzbunten Färse, nein, nach der Geburt war sie ja eine Kuh, fand er eine Nachgeburt. Er tätschelte der Kuh das Becken, fasste in die Gruben neben der Schwanzwurzel, die noch eingefallen waren, registrierte die geschwollene Vulva und betastete das Euter. Dann untersuchte er den Mutterkuchen auf Vollständigkeit. Alles fiel zu seiner Zufriedenheit aus.
„Du hast es aber eilig gehabt. Heute Abend hat Gustav noch Stein und Bein geschworen, du kalbtest erst in zwei Tagen. Dann werd ich ihn dir mal vorbeischicken, was?“ Im Hinausgehen wandte er sich noch einmal um und sagte: „Ach übrigens, es ist ein Mädchen und es geht ihm gut, aber das wirst du ja gleich sehen.“
Stein bugsierte das Kalb zu seiner Mutter und machte die beiden miteinander bekannt. Die Kuh beleckte ihre entlaufene Tochter, entfernte mit ihrer langen rauen Zunge letzte Reste der Fruchthülle, die noch am Haarkleid des Kalbes geklebt hatten. Der Verwalter achtete darauf, dass das Neugeborene so lange am prall gefüllten Euter saugte, bis es satt war. Am nächsten Morgen würden die Mägde das Melken übernehmen und dafür sorgen, dem Kalb in den ersten Lebenstagen nur die Milch der eigenen Mutter zukommen zu lassen. Als das Kälbchen mit seinen ungelenkigen Stelzen erneut begann, Ausflüge in den Stall zu unternehmen, wollte auch Stein Feierabend machen. „So, jetzt wollen wir dich mal in die Wiege bringen“, meinte er lächelnd, umfasste kurzerhand das Tier, das immer noch auf wackeligen Beinen stand, und hievte es hoch. Es war schwer, bestimmt an die 70 Pfund, und zappelte auch kräftig, aber Stein ließ sich nicht beeindrucken.
Im hinteren Bereich des Stalls war eine Fläche in schmale Boxen aufgeteilt worden. Ihre kleinen Bewohner schliefen friedlich auf ihren Strohpolstern. Auch das frisch geborene Kälbchen bekam eine solch weiche Behausung. Stein notierte noch den Namen der Kuh an der Box, dann wendete er sich seinem eigentlichen Anliegen zu. Mit Hilfe der Laterne fand er auch die
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