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Weiße Nächte, weites Land

Weiße Nächte, weites Land

Titel: Weiße Nächte, weites Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Sahler
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stoischer Gelassenheit auf einen Stecken gestützt, beaufsichtigte.
    Das Wasser des Flüsschens plätscherte an diesem Tag träge und brachte keine Abkühlung in die zum Schneiden dicke Luft.
    Gestern Nachmittag hatten sie Daniel verabschiedet, der sich wieder für einige Tage in der Kolonie aufgehalten hatte. Christina hatte ihm die Hand gereicht und so getan, als ginge sie unbeschwert in ihre Hütte zurück. Doch als er sich auf dem Pony entfernte, machte sie kehrt, um ihm trübsinnig nachzuschauen, bis seine Silhouette am Horizont verschwand. Ach, hätte doch nur ein Teil von ihr mit ihm ziehen können! Hinaus in die Welt, in das Leben.
    Jetzt richtete sie sich auf, nachdem sie einen weiteren knuspriggebackenen Laib auf das Regal zum Abkühlen geschoben hatte, seufzte und stemmte beide Hände ins Kreuz.
    Alles schmerzte. Der Rücken vom Bücken, die Beine vom unermüdlichen Hin-und-her-Laufen, die Arme von dem schweren Holzschieber, der Schädel von der Hitze.
    Sie beschattete die Augen mit einer Hand und spähte zu dem Nomadenlager. Aus der Entfernung erkannte sie nur schemenhaft die Filzzelte und die umhergehenden Menschen. Hinter den Behausungen hielten die Kalmücken ihre Nutztiere. Hauptsächlich Pferde und Schafe, aber es waren auch ein paar Kamele und Rinder dabei. Die gewaltigen ein- und zweihöckrigen Wüstentiere waren von den Kindern der Kolonisten nicht weniger neugierig bestaunt worden als von den Erwachsenen.
    Irgendetwas ging in dem Lager vor sich. Christina beobachtete, wie die schwarzhaarigen Kinder, die den ganzen Sommer über nackt herumliefen, Bündel und Töpfe, Decken und Hocker schleppten. Ein leises Bimmeln war zwischen den fremdsprachigen Rufen der Nomaden zu vernehmen, die ihre Kamele an die Zelte führten und sie zu beiden Seiten beluden. Bereiteten sie den Aufbruch vor, und hatten sie die Lasttiere mit Glöckchen behängt? Ein paar der Frauen, manche mit zwei Zöpfen, andere mit einer Vielzahl von Flechten, hoben die Stimme. Die heiße Luft trug den für ihre Ohren unmelodisch klingenden Gesang zu den Kolonistenfrauen am Backplatz.
    Christina ließ sich auf einen Holzklotz fallen, während sie die umtriebigen Nomaden nicht aus den Augen ließ. Bedeutete die Emsigkeit, dass sie wirklich weiterzogen? Christina überkam bei diesem Gedanken Erleichterung.
    Seit mehreren Monaten ließen die Kalmücken hier ihr Vieh weiden. Manches Mal waren einige der Männer ins Dorf geritten. Mit ihren kahlgeschorenen Köpfen, die nur ein längs über den Schädel verlaufender Schopf schmückte, mit den geflochtenen Bärten, den schlitzförmigen Augen, den breiten Wangenknochen und den platten Nasen erregten sie Aufsehen. Sie boten im Tausch gegen Mehl Schaffelle und saure Pferdemilch, die sie als Rauschmittel anpriesen. Einige der deutschen Männer kosteten von dem übelriechenden Gesöff, verzichteten aber würgend auf weitere Proben.
    Ganz freundlich und fröhlich, wenn auch sonderbar waren Christina die Nomaden erschienen, und der Gesang und das Gelächter, die oft aus ihrem Zeltdorf drangen, ließen den Schluss zu, dass es sich bei ihnen um ein friedfertiges Volk handelte.
    Aber Daniel hatte die Kolonisten eindringlich gewarnt: Hinter allen gefälligen Gesten mochte eine Art Verschlagenheit stecken. Sie sollten sich um ein friedliches Nebeneinander bemühen und dennoch auf ihrer Hut sein.
    Christina nahm seine Worte sehr ernst. Die Anwesenheit der Nomaden empfand sie als eine ständige Bedrohung. Wenn sie nun abzogen, würden ihre Nächte gewiss wieder ruhiger und ihr Schlaf tiefer werden.
    Wie geschickt die Frauen die Zelte abbauten und verpackten! Innerhalb kürzester Zeit verschwand eine Behausung nach der anderen und landete, in handliche Ballen verpackt, auf den geduldig wartenden und das Salzkraut kauenden Kamelen.
    Die Männer stoben im wilden Ritt mit übermütigen Rufen um die Viehherden herum, um sie zusammenzutreiben. Schon setzte sich die Karawane in Bewegung. Aus der Entfernung wirkten die Kalmücken wie Waldameisen, die einer vorgetretenen Spur folgten.
    »Schaut, sie ziehen wirklich weiter!«, rief Christina den anderen Frauen zu, die missmutig brummten.
    »Was sitzt du da und hältst Maulaffen feil?«, giftete eine von ihnen. »Hier wird jede Hand gebraucht.«
    Christina zog eine Grimasse und stemmte sich hoch. Kein Wunder, dass sie auf taube Ohren stieß. Keine hörte Daniel so begierig zu wie sie, wenn er von dem Land und seinen Bewohnern erzählte. Deswegen war auch keine wie sie

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