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Weiße Nächte, weites Land

Weiße Nächte, weites Land

Titel: Weiße Nächte, weites Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Sahler
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erleichtert, dass eine mögliche Gefahr durch das Nomadenvolk gebannt war.
    Christina sammelte ein letztes Mal alle Kräfte, um ihr langweiliges Tagwerk zu vollenden.
    Wie sehr sie sich täuschte, als sie annahm, die Bedrohung sei vorüber, sollte sie noch in derselben Nacht erfahren.

    Die Feuer an Straße und Graben flackerten, die Menschen saßen bei Kerzenschein vor und in ihren Hütten, als sich plötzlich vom Forst her Pferdegetrappel näherte.
    Christina hörte es früher als die meisten, da sie gerade das Haus ihrer Schwester verließ, um sich in ihrem eigenen zur Ruhe zu legen. Im Schein der Feuer und des bleichen Mondlichts vermochte sie nichts zu erkennen, aber das Trampeln der Hufe wurde lauter. Darunter mischte sich das Klirren von Eisen, was nichts Gutes verhieß.
    Dann sah sie sie schemenhaft hinter Franz’ Hütte direkt auf das Dorf zugaloppieren: eine Gruppe von fünf Reitern mit schmalen Helmen auf dem Kopf, die bis auf die Schultern herabreichten, und panzerähnlichen Hemden aus klappernden Eisenringen. In den Händen schwangen sie Säbel und Piken, über ihren Schultern schwirrten die Federn der Pfeile in den Köchern.
    Einen Herzschlag lang stand Christina wie gelähmt. Endlich riss sie den Mund auf. Ihr Schrei gellte durch die Nacht: »Sie greifen an! Die Kalmücken greifen an! Rettet euch! Rettet die Kinder!«
    Bernhard und Matthias stürmten als Erste aus den Hütten.
    »So tut doch was, in Gottes Namen!«, schrie Christina, dann gab es für sie kein Halten mehr. Sie raffte ihren Rock und raste zurück in Eleonoras Hütte. »Los, verrammele die Tür! Lass uns den schweren Tisch davorschieben! Und die Betten! Und lösch um Himmels willen die Kerzen!«
    Sophia tapste aus ihrem Bett und fing an zu weinen. Klara schlurfte auf nackten Füßen heran, während die beiden Weber-Schwestern die Tür der Hütte mit allem Mobiliar absicherten, das sie zu bewegen vermochten.
    Christinas Herz klopfte bis zum Hals. Ein Blick zu ihrer Schwester zeigte ihr, dass diese sich bemühte, ihre Panik niederzukämpfen. Das Gesicht käsig, die Lippen ein blutleerer Strich, die Pupillen schwarz geweitet.
    »Hast du Waffen hier?«, fuhr Christina sie an.
    »Nein … ja …« Eleonora wandte suchend den Kopf. »Die Küchenmesser!«
    Die Schubladen klirrten vom Zittern ihrer Hände. Über die Schulter gab Eleonora Anweisungen: »Klara, steck Sophia in den Schrank! Sperr ihn ab und sag ihr, sie soll den Mund halten! Und komm dann her und nimm dir eines der Messer …«
    Die Klingen in den Fäusten, hockten sich die drei Schwestern an das Fenster zur Dorfstraße, die Nasen am Sims. Sophias Wimmern hinter der Schranktür und das schnelle Atmen der Weber-Frauen klangen überlaut in der Hütte.
    Christina riss die Augen auf, um genau zu verfolgen, was da in der Dorfmitte geschah. Herr im Himmel, was hatten diese fünf Krieger vor? Was wollten sie von ihnen? Sie besaßen doch nichts …
    »Heute Abend habe ich noch gedacht, die sind wir los …«, flüsterte sie.
    Eleonora nickte. »Ja, ich war nicht weniger erleichtert als du, obwohl sie eigentlich umgänglich gewirkt haben. Meinst du, sie gehören zu der Karawane, die heute weitergezogen ist?«
    »Gewiss«, erwiderte Christina. »Das passt doch. Ganz am Ende noch einmal mitgehen lassen, was zu holen ist. Genau so haben die sich das gedacht.«
    Sie beobachtete, wie zwei der fünf in einem unglaublichen Tempo die Zügel der Ponys durchschnitten, die an den Scheunen standen, und sie mit kräftigen Peitschenhieben zum Laufen trieben, wohl wissend, dass sie sie später in der Steppe mühelos einfangen konnten.
    Herr im Himmel, lass sie nur auf die Pferde aus sein!, betete Christina und biss sich auf die Unterlippe, bis sie den metallischen Geschmack von Blut schmeckte.
    Mehrere Kolonisten liefen jetzt auf den Platz, manche aus dem Schlaf geholt. Alle wirkten völlig hilflos den schwerbewaffneten berittenen Angreifern gegenüber, griffen nach Brettern und Äxten, Besenstielen und Steinen – nach allem, was ihnen unter die Finger kam, um sich gegen die Räuber zu wehren. Christina wusste, dass es nur ein einziges Gewehr in der Kolonie gab. Wie lange würde Bernhard brauchen, um es zu holen? Und waren die Kalmücken nicht über alle Berge, wenn der erste Schuss fiel?
    Das Schnauben und Wiehern der Pferde, Peitschenknallen, Säbelrasseln und die wütenden Stimmen der Männer erfüllten die Luft. Vereinzelt hörte man Frauen und Kinder schreien. Christina fühlte, wie sich

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