Weiße Nächte, weites Land
Wände bedeckten Seidentapeten, auf den Böden dämpften kunstvoll gewebte Teppiche die Schritte, der weißverputzte Kamin spendete abends behagliche Wärme, ohne zu rußen, es gab einen Speiseraum, eine gute Stube mit Eleonoras wachsender Bibliothek und für die Kinder zwei Zimmer – eines, das sich die inzwischen siebzehnjährige Sophia mit der dreizehnjährigen Alexandra teilte, und eines, in dem ihre sieben- und sechsjährigen Söhne hausten. Und natürlich gab es ein Schlafzimmer für Matthias und Eleonora, das von einem riesigen Prachtbett mit Seidenvolants und Daunendecken beherrscht wurde. Wie nichts anderes war dieses Bett für Eleonora das Symbol dafür, dass sie am Ziel ihrer Träume waren. Jeden Abend, wenn sie sich an Matthias schmiegte und die Weichheit und den zarten Duft der Bettstätte genoss, dankte sie dem Herrgott, ein solches Leben führen zu dürfen.
Die Manufaktur, die Matthias nach dem Tod seines Kompagnons als alleiniger Geschäftsinhaber leitete, lieferte die Seide inzwischen bis nach Sankt Petersburg, eine Geschäftsverbindung, die durch die Vermittlung Christinas zustande gekommen war und die für Matthias den Durchbruch brachte.
Es hatte ihm zunächst widerstrebt, mit Christina Geschäfte zu machen. Wochenlang hatte der Haussegen in Saratow schiefgehangen, weil er sturköpfig behauptete, er pfeife auf die Protektion dieser Frau. Aber Eleonora war nicht müde geworden, zwischen den beiden zu vermitteln. Neben der Wiederbelebung der verwandtschaftlichen Beziehung sah sie den Nutzen, den ein geschäftlicher Kontakt zu Christina mit sich brachte, und sie riet Matthias, seine Bedenken über Bord zu werfen. Er brauchte Christina nicht zu mögen – wenn sie ihm das Tor zum Zarenhof aufstieß, sollte er das gefälligst annehmen nach allem, was er für sie getan hatte. In Eleonoras Augen war Christina Matthias einen solchen Dienst schuldig. Immerhin war er es gewesen, der ihre Ehre bewahrt und über viele Jahre in einer Ehe ausgeharrt hatte, die ihm zuwider war, ohne seine Frau mit ihrem unehelichen Kind an den Pranger zu stellen.
Zähneknirschend hatte Matthias schließlich nachgegeben und die erste Fuhre Seide nach Petersburg geschickt.
Zur Kolonie Waidbach hielten sie, wie sie es sich vorgenommen hatten, regen Kontakt – was nicht zuletzt daran lag, dass Matthias den Waidbachern die komplette Produktion an Seidengarn abnahm. In den ersten beiden Jahren hatte Helmine den Löwenanteil der Arbeit auf der Maulbeerplantage selbst gestemmt, aber als die etwas zähflüssig denkenden Kolonisten merkten, wie außerordentlich erfreulich sich das Geschäft mit der Seide entwickelte, waren sie mit eingestiegen und hielten die Produktion seitdem in Schwung. Von den Einkünften profitierte die gesamte Kolonie und entwickelte sich zu voller Blüte, nahezu vergleichbar mit Sarepta, das die Herrnhuter Brüdergemeinde nach der Verwüstung durch die Rebellen Pugatschows wieder neu aufgebaut hatte.
Eleonora brühte Mokka auf und sog den aromatischen Duft genießerisch ein, bevor sie den Porzellandeckel auf die Kanne setzte und diese mit zwei Tassen auf ein Silbertablett stellte. Kaffee war Luxus in Saratow – die Russen bevorzugten Tee. Aber es lebten hinreichend Landsleute in Saratow, die sich für ihre speziellen Bedürfnisse einsetzten und dafür sorgten, dass solche Dinge vorrätig waren.
»So schön, dass du wieder einmal vorbeischaust, Daniel«, sagte Eleonora, als sie den Salon betrat, wo der alte Freund auf der Chaiselongue saß. Sie stellte das Tablett auf einen Teewagen und schenkte die Tassen voll, bevor sie sich auf den zierlichen Stuhl ihm gegenüber setzte. Sie lächelte ihn an, während sie vom Mokka tranken. »Ich höre gern deine Geschichten aus dem weiten Reich.«
Daniel lächelte. »Und ich höre gern, wie es all den alten Bekannten geht. Deine Gesellschaft genieße ich sowieso«, fügte er charmant hinzu. »Erzähl mir von Christina!«, bat er und beugte sich vor, um die Tasse abzustellen. »Ist sie immer noch mit diesem eitlen Geck verheiratet?«
»Na, na, ob er ein eitler Geck ist, weiß ich nicht«, erwiderte Eleonora und hob mahnend den Zeigefinger. »Oder hast du mich je ein schlechtes Wort über André Haber sagen hören?«
Daniel schüttelte den Kopf. »Aber das liegt gewiss daran, dass du über keinen Menschen schlecht sprichst. Manchmal kommst du mir vor wie ein Engel.«
Eleonora lachte schallend auf. »Das erzähl doch bitte Matthias, wenn ich das nächste Mal das
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