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Weiße Nächte, weites Land

Weiße Nächte, weites Land

Titel: Weiße Nächte, weites Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Sahler
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hatte seit Beginn der Überfahrt seine Nähe gesucht. Daniel spürte, dass er sich einsam fühlte und sich nach einem Freund sehnte, und er ließ ihn gewähren, fand er doch in ihm einen begeisterten Zuhörer, wenn er von Berlin und seinen Plänen erzählte. Sebastian hatte ihm manche lange Stunde mit seinen ständigen Fragen und seinem unersättlichen Wissensdurst vertrieben. Da sich die schöne Christina offenbar darauf besonnen hatte, ihren frisch angetrauten Gatten bei Laune zu halten, und Daniel infolgedessen links liegenließ, es im Übrigen jedoch wenig weibliche Gesellschaft an Bord gab, die sein Herz hätte höherschlagen lassen, verbrachte Daniel gern die qualvoll lange Zeit mit dem Jungen.
    Gleich zu Beginn ihrer ungleichen Kameradschaft hatte er Sebastian erklärt, dass er keineswegs ein Meister sei und deswegen nicht so angesprochen werden möchte. Aber der Junge befand, es passe vortrefflich zu ihm, er sehe aus wie ein Meister und es komme ihm leicht über die Lippen, also ließ Daniel ihn amüsiert gewähren.
    Sebastian hatte ihm anvertraut, es sei gar nicht geplant gewesen, dass er mit nach Russland kam. Er hatte sich heimlich angeschlossen, als der sechzehn Jahre ältere Bruder Adam mit seiner Frau Veronica und dem Kind aufbrach. Als sie ihn bemerkten, war es zur Umkehr zu spät.
    Daniel hatte sorgenvoll nach Sebastians Eltern gefragt, aber der Junge hatte abgewinkt, und über sein Gesicht war ein Schatten gefallen. »Die werden lange Zeit gar nicht merken, dass ich nicht mehr da bin. Mich vermisst keiner.«
    Für Daniel war es unvertraut wie eine fremde Sprache, sich mit diesem mutigen kleinen Kerl anzufreunden. Aber genau deswegen hatte es ihn aus der Enge seiner Heimat weggezogen: um die Menschen und das Leben zu studieren.
    Er legte nun die Hand auf Sebastians Schulter. »Nein, Sankt Petersburg liegt östlich von uns und an der Mündung der Newa – dies da ist die vorgelagerte Insel mit der Festung Kronstadt, an der wir anlegen werden.«
    »Warum fahren wir nicht direkt nach Sankt Petersburg?«
    »Ich vermute, der Kapitän muss uns hier anmelden. Danach werden wir weiter nach Oranienbaum ans südliche Ufer der Bucht von Kronstadt gebracht.«
    »Werden wir da die Zarin treffen?«, fragte Sebastian. Sein rechtes Lid zuckte.
    Daniel lachte und tätschelte ihm den Rücken. »Mach dir keine Hoffnung! Die große Katharina hat wichtigere Geschäfte zu erledigen, als jeden Kolonisten willkommen zu heißen.«
    »Schade. Sie soll sehr schön sein«, murmelte Sebastian, und in seinen Augen flackerte ein träumerisches Schwärmen.
    »Von allzu schönen Frauen lass die Finger, Sebastian«, flüsterte Daniel ihm mit einem Zwinkern zu. »Und wenn sie noch dazu Zarin sind …«
    Sebastian kicherte.
    Die anderen Kolonisten um sie herum schoben und drängelten. Manch einer wischte sich die Freudentränen weg, alle strahlten und plapperten durcheinander, als wären die Strapazen vergessen.
    An den Köpfen der anderen vorbei sah Daniel zu Christina. Ihre Blicke versanken für ein paar Sekunden ineinander, bis Daniel einen spöttisch neckenden Ausdruck in seine Miene brachte und mit dem Kopf auf Matthias wies, der sich neben seiner Frau auf Zehenspitzen reckte.
    Christina schob das Kinn vor, bevor sie sich abwandte und zur Festung starrte, als wollte sie die Mauersteine zählen.
    Daniel grinste. Was für ein hübsches Lärvchen diese Hessin war. Aber wie sie sich verhielt – das gab ihm ein kniffeliges Denkspiel auf. Er hätte Stein und Bein geschworen, dass sie ihn noch im Hafen von Lübeck erhörte, doch dann hatte sie sich überraschend in die Aura einer unberührbaren Schönen gehüllt.
    Er versicherte sich aus dem Augenwinkel, dass Christina ihn beobachtete, als er nun die Frau ansprach, die er bei sich nur die »Apothekerin« nannte, obwohl sie ihm mit mürrischer Miene erklärt hatte, dass sie ihr Studium der Heilkräfte noch nicht abgeschlossen habe. »Schönste, habt Ihr Euer Bündel bereits gepackt? In kurzer Zeit werden wir anlegen.«
    Anja fuhr zu ihm herum, als hätte er sie nicht aufs freundlichste angesprochen, sondern ihr einen Kübel Eiswasser ins Gesicht geschüttet. Ihre Augen schossen Blitze, so dass Daniel unwillkürlich einen Schritt zurücktrat und mit der Schulter gegen einen hinter ihm stehenden Bauern stieß.
    »Verschwendet Euren Charme nicht an mich, Herr Meister! Das ist verlorene Liebesmühe. Wenn Ihr mir etwas zu sagen habt, dann redet mit mir wie mit einem denkenden

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