Weiße Nebel der Begierde
Das tun alle.« Alle außer mir, dachte Gabriel.
Er sah sie an. »Was haben Sie vor, Miss Harte?«
Ihr Lächeln verblasste und sie drehte sich um und warf ihm einen unsicheren Blick aus ihren bemerkenswerten Augen zu - aus ihren grünen Augen.
»Nun, ich brauche Ihren Rat, Mylord.«
»Meinen Rat?«
»In der Tat. Die Köchin Mairi meinte, dass ich in Oban preiswert ein Paar feste Schuhe bekommen könnte.«
»Soweit ich mich erinnere, hatte ich Ihnen gesagt, dass sich Fergus darum kümmern wird.«
»Ja, aber es ist wirklich nicht nötig, ihn von seinen anderen Pflichten fern zu halten, während ich die Besorgung sehr gut selbst machen kann. Ich brauche zudem noch ein paar andere Kleidungsstücke, und ich kann Fergus wohl kaum damit beauftragen, Unterwäsche für mich zu kaufen, oder?«
Ein Bild von ihr im Hemd blitzte vor Gabriels geistigem Auge auf. Gabriels Miene verdüsterte sich, aber er hatte sicherlich nicht das Recht, ihr zu verbieten, sich warme Kleidung für das Leben auf der Insel anzuschaffen.
Sogar heute trug sie nur ein dünnes Kleid aus kariertem Stoff und dazu zierliche Schuhe, als würde sie einen Besuch bei einer Freundin machen und nicht eine Überfahrt auf einem Segelboot. Wenn sie sich nicht wärmer anzog, würde sie sich innerhalb eines Monats eine Lungenentzündung einfangen.
»Außerdem«, fuhr sie fort, »möchte ich sicherstellen, dass die Sachen auch wirklich passen. Ich finde, dies ist das perfekte Wetter für meinen ersten Ausflug mit Juliana.«
Juliana stand neben ihr und sah ihren Vater an, als rechnete sie fest damit, wieder nach Hause geschickt zu werden.
Obwohl sein erster Impuls war, den beiden die Überfahrt zu verweigern, wusste er doch, dass Juliana viele Wochen im Schloss eingesperrt gewesen und kaum vor die Tür gekommen war. Selbst gestern waren die beiden bei einem kurzen Spaziergang vom Regen überrascht worden. Er durfte ihr einige Stunden erquickender Sonne und frische Luft nicht verweigern.
Genauso gut wusste er, dass er nicht plötzlich das Schiff verlassen konnte, ohne alle anderen neugierig zu machen, deshalb brummte er nur: »Meinetwegen«, und griff wieder nach dem Tau.
Sobald es gelöst war, glitten sie aufs offene Meer und rollten über die Wellen, während der Wind das feste Segel erfasste. Die Männer hatten ihre Plätze an den Rudern eingenommen und warteten auf Donalds gälisches Kommando »Tiugainn!«, dann zogen sie alle gleichzeitig durch.
Das Boot kam schnell voran, und der rhythmische Gesang der Ruderer half ihnen, die Bewegungen synchron zu halten.
Die ganze Zeit hatte Gabriel das Geplapper von Miss Harte in den Ohren, die Juliana alles erklärte, was sie wusste, und Donald Fragen stellte, wenn sie etwas nicht wusste.
»Siehst du das hier, Juliana? Das ist der vordere Teil des Schiffes, man nennt ihn >Bug<, und der hintere Teil heißt >Heck<, das stimmt doch, Mr MacNeill?«
Noch ehe er antworten konnte, fragte sie: »Oh, und wie heißt diese kleine Insel da drüben, Mr MacNeill?«
»Das ist Eilean Olmsa, Miss. Man sagt, Bonnie Prince hat hier ’45 zum ersten Mal schottischen Boden betreten, bevor er weiter Richtung Norden nach Barra segelte.«
»Tatsächlich?« Die Augen der Gouvernante leuchteten vor Begeisterung, als sie die zerklüftete Küste der Insel betrachtete, als würde sie zwischen den Felsen und dem Gestrüpp nach der einsamen Stuart suchen. »Erzählen Sie uns die Geschichte, Mr MacNeill ...«
Während Donald zu der Geschichte von den Jakobinern anhob, die jedes Kind auf der Insel kannte, beschäftigte sich Gabriel damit, die Fallleinen auf der anderen Seite des Schiffes immer wieder aufs Neue zu prüfen. Er war froh um die steife Brise, die er im Gesicht spürte und die ihn von diesen verdammten grünen Augen ablenkte.
Diese Frau strahlte etwas Unbeschreibliches aus und ihre nimmermüde Wissbegier und leidenschaftliche Natur zog alle in ihren Bann. Ihr Gesicht war wie ein offenes Buch, in dem man all die Empfindungen lesen konnte, die sie bewegten.
Sie war berauschend.
Die Überfahrt war keineswegs kurz; sie erreichten erst kurz vor Mittag die Bucht von Oban. Aber auf der ganzen Reise schienen Miss Harte nicht für einen Augenblick die Worte auszugehen.
Im Gegensatz zu ihr gab Juliana keinen Laut von sich. Sie saß wie in den vergangenen drei Jahren wie versteinert da und starrte zum Horizont -was um sie herum geschah, nahm sie gar nicht wahr.
Trotzdem staunte Gabriel über die neue Gouvernante. Sie gab nicht auf.
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