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Weiße Nebel der Begierde

Titel: Weiße Nebel der Begierde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaclyn Reding
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hereinbrach, hatte der Tanz längst begonnen.
    Die flackernden Fackeln warfen Schatten auf das Kopfsteinpflaster auf den vom Mond beschienen Schlosshof vor dem Turm. Zu den Klängen des Dudelsacks und der Fiedeln wirbelten die Tänzer harmonisch im Kreis, klatschten in die Hände, hakten sich bei anderen unter, wechselten von einem Partner zu anderen. Bunte Röcke umwehten bloße Füße und schlanke Beine. Hände klatschten. Füße stampften. Gelächter und Frohsinn erfüllten die Luft. Nur der Laird von Dunevin saß in einer Ecke an einem Tisch, den man für das Fest aus der großen Halle gebracht hatte, und beobachtete das Treiben mit nachdenklichem Blick.
    Dieser Tag war aus vielen Gründen ein Festtag. Als Laird war Gabriel Protektor und Wächter über jeden einzelnen Inselbewohner, angefangen vom ältesten Graubart bis zum Neugeborenen. Er war Lord, Herr, Wohltäter, ihre Miseren waren seine Miseren, und es war seine Pflicht, sie vor Unheil zu bewahren. Eine Inselgemeinde war angreifbarer als jede andere. Doch heute fand er Frieden, weil er wusste, dass die Bewohner dieser Insel, über die seine Familie seit Jahrhunderten wachte, genügend Nahrungsmittel und Schutz für die kalten, dunklen Monate haben würden.
    Das war nicht immer so in den Highlands. An der Westküste und auf den noch entlegeneren Inseln wie Lewis und Harris, die einst von großen gälischen Königen bewohnt worden waren, gab es nicht einmal das Nötigste. Das Land brachte kaum Nahrung für die Menschen hervor, die seit Generationen dort lebten. Das Handwerk florierte seit der Niederlage auch nicht mehr, so dass die Menschen ganz auf die spärliche Landwirtschaft und das Fischen angewiesen waren.
    Noch schlimmer war allerdings, dass einige Bewohner der Nachbarinseln der Gnade eines Systems ausgeliefert waren, das sie keineswegs vor habgierigen Wucherern und abwesenden Verpächtern schützte, die mehr von ihren Leuten verlangten, als sie aufbringen konnten. Gabriel weigerte sich, dieses neue System für die Verwaltung seiner Ländereien einzuführen. Trotz der finsteren Geschichte der MacFeaghs, die seit Menschengedenken Lairds dieser Insel waren, hatten sie immer die Bedürfnisse ihrer Untergebenen im Auge, und Gabriel würde diese Tradition aufrechterhalten.
    Während des ganzen Tages waren die Inselbewohner - Menschen, die ihm seit Georgianas unerklärlichem Tod aus dem Wege gegangen waren wie er ihnen - auf ihn zugekommen und hatten mit ihm geredet. Man hätte fast den Eindruck gewinnen können, er wär lange auf Reisen gewesen und würde jetzt herzlich willkommen geheißen.
    Gabriel beobachtete seine Tochter, die eines Tages seinen Platz als Wohltäterin der Insel einnehmen würde. Die Veränderungen, die Juliana in den letzten Wochen durchgemacht hatte, waren erstaunlich. Vor noch nicht einmal einem Monat war er überzeugt gewesen, sie für immer verloren zu haben - sie war ein teilnahmsloses Geschöpf, das jeden menschlichen Kontakt mied. Jetzt spielte sie mit der kleinen Brighde Macphee, deren Eltern die Schreibweise ihres Namens verändert hatten, damit man ihre Familie nicht mit seiner verwechselte. Es war ein Wunder geschehen.
    Die beiden Kinder gaben ein Bild der Unschuld ab, als sie mit strahlenden Gesichtern und leuchtenden Augen in den Lichtkreis sprangen. Dies war eine der Offenbarungen, die diesen Michaelistag zu etwas ganz Besonderem machte.
    Er fragte sich, was heute so anders war. War es nur die Festtagsstimmung? Die Dankbarkeit für eine üppige Ernte? Aber Gabriel brauchte nicht lange nachzudenken; er wusste, dass die Ursache für diese Wandlung in der Reihe der Tänzer stand und im Takt der Musik in die Hände klatschte. Das Licht der Fackeln tanzte blitzend in ihren grünen Augen.
    Sie nannte sich selbst Miss Nell Harte; aber für ihn war sie die Antwort auf seine Gebete. Er hatte sie in der Hoffnung eingestellt, dass sie sich als geeignete Gouvernante für Juliana erweisen und ihr die gesellschaftlichen Umgangsformen beibringen würde, die sie kennen musste, wenn sie einmal Ehefrau und Mutter werden wollte.
    Aber diese Frau war keine Gouvernante, sondern ein Engel.
    Gabriel sah zu, wie Eleanor den jungen Donald MacNeill an der Hand fasste und mit ihm im Kreis der anderen Tänzer die Schritte nachahmte, die er ihr vortanzte. Sie lachte, wenn sie etwas falsch machte und Donald auf die Füße trat. Ihr glockenhelles Lachen war wie Musik in Gabriels Ohren, wie ein Madrigal, das in diesem Schloss schon viel zu lange nicht

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