Weiße Nebel der Begierde
könnte, dachte er, während er beobachtete, wie sich Eleanor beim alten Angus einhakte und sich mit ihm im Kreis drehte. Mairi und die anderen spendeten ihnen grölend Beifall. Wie leicht es wäre, sich in sie zu verlieben ...
Aber er konnte die Vergangenheit nicht auslöschen, gleichgültig, wie sehr er sich das auch wünschen würde. Die dunkle Geschichte seiner Familie verfolgte ihn und wäre eine zu große Bedrohung für sie.
Die Musik war verstummt, und die Tänzer zerstreuten sich, um an den Tischen Platz zu nehmen oder sich an den Rand der freien Fläche in der Mitte des Hofes zu stellen. Er sah, dass Eleanor zu dem kleinen Podest ging, auf dem die Musikanten saßen. Sie trug etwas unter dem Arm.
Mairi löste sich aus der Menge und stellte sich vor das Podest.
»Leute, jetzt erlebt ihr etwas ganz Besonderes. Es hat mich einige Mühe gekostet-« sie warf einen Blick auf Eleanor an ihrer Seite und lächelte - »aber es ist mir gelungen, dieses liebe Mädchen dazu zu überreden, uns das Talent zu zeigen, das sie die ganze Zeit vor uns versteckt hat.«
Talent? Gabriel richtete sich auf. Eleanor stellte sich auf das Podest. Sie hielt etwas Dünnes, Dunkles in den Händen. Als sie es an die Lippen setzte, wurde ihm klar, dass sie Flöte spielen wollte. Im Hof wurde es mucksmäuschenstill, als sie den ersten sanfte Ton blies.
Die einschmeichelnden Klänge eines alten schottischen Liedes, das alle kannten, ertönten, flüsterten im Hof, erfüllten die Luft mit alter Magie und bezauberten alle. Wie der berühmte Flöter Hamlin zog sie mit ihrer Musik alle in ihren Bann.
Gabriel stand auf und trat, ohne auch nur noch einen Gedanken an Donald MacNeill zu verschwenden, aus dem Schatten. Er war wie in Trance, während er ihr zuhörte und sie ansah. Sie hatte die Augen geschlossen - die langen Wimpern überschatteten die Wangen. All das bestätigte nur, dass sie ein Engel auf Erden war.
Die Flöte war im eigentlichen Sinne kein Instrument für Frauen, aber Eleanor spielte sie, als wäre sie dafür geboren. Ihre Finger bewegten sich leicht und geschickt. Viele der Anwesenden hatten ebenfalls die Augen geschlossen und wiegten sich sanft im Rhythmus der Melodie. Andere waren wie erstarrt, als hätten sie Angst, dass nur ein Blinzeln genügte, um die bezaubernde Vision zu vertreiben.
Als Eleanor mit einer süßen, schwellenden Note endete, herrschte lange absolute Stille. Niemand rührte sich oder gab einen Laut von sich. Es war, als hätte Eleanor alle in einen Traum versetzt. Dann, als die Leute plötzlich erwachten, applaudierten sie und riefen »Bravo«. Sie sprangen auf, umringten die Künstlerin und überschütteten sie mit Komplimenten.
Eleanor lächelte scheu, verneigte sich anmutig und stieg von dem Podest.
»Nein - gehen Sie noch nicht!«, rief der Dudelsackbläser und schlug eine lebhafte Melodie an, in die die Fiedler mit einfielen. »Spielen Sie mit uns, Mädchen!«
Eleanor lauschte der Melodie eine Weile und setzte dann die Flöte an. Die anderen stellten sich zum Tanz auf. Genauso schnell wie die Stimmung nachdenklich und verträumt geworden war, wurde sie wieder ausgelassen und fröhlich.
Gabriel sah, dass Mairi am Rand der Tanzfläche mit Seona zusammenstand und die hüpfenden und kreisenden Tänzer beobachtete. Gabriel ging auf sie zu.
»Guten Abend, Laird«, grüßte Mairi herzlich. »Wir haben ein feines cuideachd, nicht? Ist Miss Harte nicht eine wunderbare Musikantin?«
Gabriel schien die Augen nicht von Eleanor wenden zu können, während sie spielte und den Kopf im Gleichklang mit der Melodie hin- und herwarf. »Ja, sie ist eine ausgezeichnete Flötenspielerin. Ich hatte ja keine Ahnung.«
Mairi grinste. »Keiner von uns wusste was davon. Ich bin einmal zufällig abends draußen gewesen und da hab ich die süßen Klänge auf dem Hügel gehört. Ich dachte zuerst: Das muss eine Fee sein, denn wer sonst könnte in einer Mondnacht so zauberhafte Klänge von sich geben? Ich habe mich herangeschlichen, um einen kurzen Blick auf die Elfen zu erhaschen, aber ich sah nur die junge Miss, die auf einem Felsen saß und ganz allein die schöne Melodie spielte. Sie sagt, dass sie schon von klein an Flöte spielt, dass sie oft Trost dabei findet und hauptsächlich für sich selbst spielt. Ich musste mit Engelszungen auf sie einreden, damit sie heute Abend für uns spielt.«
»Ich freue mich, dass Sie sich die Mühe gemacht haben.«
Als das Lied zu Ende war, überquerte Eleanor den Hof und ging auf
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