Weiße Nebel der Begierde
Augen waren plötzlich trübe und leer, als ihm dämmerte, welche Katastrophe er gerade erlebte.
»Sie sind verheiratet?«, fragte er, als hätte er noch nicht ganz begriffen, was er gerade gehört hatte. Und als würden ihn unsichtbare Hände schütteln, umgab er sich im nächsten Moment wieder mit all der Vornehmheit und Höflichkeit, die man ihm sein ganzes Leben lang beigebracht hatte, wie mit einem schützenden Umhang. Er straffte die Schultern, setzte eine freundliche, aber gleichmütige Miene auf und streckte Gabriel die Hand entgegen. »Dunevin, es ist mir eine Ehre, Ihre Bekanntschaft zu machen.«
Gabriel schüttelte die Hand. »Herrick.«
Richard warf einen Blick auf die Mädchen und nickte.
»Ja, schön«, sagte er und kämpfte augenscheinlich darum, sich mit dem Bild abzufinden, das sich ihm hier in aller Öffentlichkeit bot. »Ich wünsche Ihnen das Beste für Ihre Ehe.« Er verbeugte sich vor Gabriel. »Lord Dunevin.« Dann wandte er sich mit steinernem Gesicht über dem hohen, modischen Spitzkragen an Eleanor. »Lady Dunevin, ich kann nur betonen, wie Leid es mir tut, dass mein Brief Sie nicht in Schottland erreicht hat. Mein Verlust ist offensichtlich Lord Dunevins Gewinn.«
Damit verbeugte er sich noch einmal, drehte sich um und ging mit hocherhobenem Haupt davon.
Er sah nicht mehr zurück.
Eleanor merkte selbst nicht, dass sie noch eine ganze Weile reglos dastand und ihm nachsah, während die Menschen einen Bogen um sie machen mussten.
Schließlich sagte Gabriel: »Geht es dir gut, Mädchen?«
Sie sah ihn an - plötzlich überkam sie ein solches Mitgefühl, dass sich ihre Augen mit Tränen füllten. »Ich habe nicht damit gerechnet, ihm hier zu begegnen. Ich wusste nicht, was ich ihm sagen soll. O Gott, Gabriel, er hätte es nicht so erfahren dürfen.«
»Du konntest nichts anderes tun.«
Sie ließ den Tränen freien Lauf. »Aber was, wenn mir meine Mutter über den Weg gelaufen wäre? Oder Christian? Ich will mir gar nicht erst vorstellen, dass ich sie ... vor einem Laden wiedersehe?«
Brighde zupfte an Eleanors Ärmel und wollte wissen, warum der Mann mit den glänzenden Stiefeln sie so traurig gemacht hatte. Juliana drückte sich nur noch mehr an sie.
Plötzlich wollte Eleanor nur noch weg von dieser belebten Straßenkreuzung und so schnell wie möglich nach Hause.
Gabriel erriet offenbar ihre Gedanken, denn er winkte eilends einer Droschke, die in der Nähe stand. Kurz danach rollten sie in Richtung Upper Brook Street, umfuhren diesmal aber den Berkeley Square.
Diesen Abend verbrachten sie zu Hause und schickten Fergus in ein nahe gelegenes Pub, damit er ihnen eine bescheidene Mahlzeit holte, da Mrs Wickett fast den ganzen Tag Besorgungen für die Küche gemacht und keine Zeit gehabt hatte, selbst etwas zu kochen.
Nach dem Essen sorgte Eleanor dafür, dass Juliana und Brighde ein Bad nahmen und ihre Nachthemden anzogen, dann steckte sie sie ins Bett. Sie hatten ihr Zimmer gleich gegenüber von ihrem.
Als sie die Tür hinter sich schloss, hörte Eleanor, wie Brighde Juliana etwas zuflüsterte, und ahnte, dass die beiden vermutlich die halbe Nacht am Fenster sitzen und die Kutschen betrachten würden, die im Schein der Gaslaterne über die Kreuzung fuhren. Als Kind hatte sie das auch gemacht.
Eine Stunde später saß Eleanor allein in ihrem Zimmer am Toilettetisch und bürstete ihr Haar mit langen, bedächtigen Strichen.
Sie hatte auch ein Bad genommen, um den Staub von der Reise wegzuwaschen und die trüben Gedanken zu vertreiben. Sie fragte sich, wie Richard sich fühlte, ob er ihr jemals verzeihen konnte, und wenn ja, was sie zu ihm sagen würde, wenn sie ihn das nächste Mal traf. Sie dachte an ihre Familie und merkte, dass sie sich danach sehnte, sie zu sehen. Mit einem Mal fühlte sie sich isoliert und heimatlos.
Einige Male an diesem Nachmittag wäre Eleanor am liebsten in eine Droschke gesprungen, um direkt zum Berkeley Square zu fahren, aber immer wieder hatte sie sich zurückgehalten, weil sie nicht wusste, wie sie ihnen ihre neue Situation erklären sollte und welche Reaktion sie erwarten konnte. Würden sie die stumme Juliana in der erhabenen Westover-Familie willkommen heißen?
Eleanor saß noch immer an ihrem Toilettetisch und starrte blicklos auf ihr Spiegelbild, als Gabriel leise an die Tür klopfte.
»Ein Lakai hat gerade dies hier für dich abgegeben«, sagte er und reichte ihr einen versiegelten Brief.
Er war an »Lady Dunevin« adressiert und trug das
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