Weiße Stille
Agentin Bryce nicht tut, was wir ihr sagen.«
Jason tat, wie geheißen.
Malcolm starrte Ren an. »Arme hoch.«
Ren gehorchte. Malcolm griff in den Holster unter ihrem Arm. Als er die Waffe herauszog, streifte er ihre Brust. Ren drehte sich der Magen um. Malcolm bückte sich und überprüfte ihren Knöchelholster, doch er war leer. Er tastete sie ab, fand aber nichts. Dann ging er zu dem lädierten alten Sofa und ließ sich darauf fallen.
Was geht hier vor?
Ren beobachtete Salem. Er begann wieder zu schreien und zu schluchzen.
Jason Wardwell war sichtlich gereizt. Wenn er jetzt die Kontrolle verlor, war Salem ein toter Mann. »Halt die Schnauze, alter Mann!«, brüllte er.
»Er kann nicht«, sagte Ren. »Er hat Angst.«
»Dann muss er seine Angst überwinden!«
Ren warf Salem einen Blick zu. Er hatte bemerkt, dass er ihr Gesicht in dem matten Spiegel sehen konnte, und starrte sie mit ängstlichen Augen an.
Ren begann leise einen Song von John Prine zu summen. Es war der Song, der auf Salems iPod auf der Liste der meistgespielten Titel ganz oben stand. Ren hatte es gesehen, als sie den iPod aufgeladen hatte.
Aller Augen richteten sich auf sie. Salem beruhigte sich allmählich. Ren begann leise zu singen und ließ ihn nicht aus den Augen. Sie sah, dass Salem Tränen über die Wangen liefen. Seine Brust hob und senkte sich unter raschen Atemzügen.
»Hör auf, du verrückte Schlampe«, rief Jason. »Dreht ihr jetzt alle durch?«
»Salem«, sagte Ren sanft. »Ihnen wird nichts geschehen. Das ist Ihre Musik, nicht wahr?«
Salem begann zu schluchzen.
Ren sang weiter: von alten Bäumen, die mit den Jahren kräftiger wurden, und von Flüssen, die mit jedem Tag wilder und reißender wurden.
»Hör auf«, schrie Jason. »Hör endlich auf!«
Salem zitterte wieder, und sein Schluchzen wurde immer lauter.
»Sei still!« Jason hob die Waffe, senkte sie und strich sich mit dem Handrücken über die Stirn. »Sei endlich still!«
»Nein«, sagte Ren. »Lassen Sie Salem gehen, Jason. Lassen Sie ihn gehen.«
»Er wird den Sheriff rufen …«
»Denken Sie doch mal nach, Jason. Wie soll er das machen? Er hat doch gar nicht die Möglichkeit.«
»Sie hat recht«, rief Salem. »Das tue ich nicht. Bestimmt nicht!«
»Hör auf zu quatschen«, sagte Jason und trat einen Schritt auf ihn zu.
Salem zuckte zusammen und schlug die Hände vors Gesicht. »Nein … nein …«, stammelte er.
»Halt’s Maul«, sagte Jason und richtete die Waffe wieder auf Salem. Der schwankte leicht, die Augen geschlossen, die Hände auf dem Bauch. Ren hätte Jason am liebsten angeschrien, dass Salem keine Bedrohung mehr darstelle, doch es wäre zu spät gewesen.
Jason drückte ab.
66.
Der Schuss riss ein großes Loch in Salems Brust und schleuderte ihn rücklings gegen den Spiegel, der in Scherben ging. Ren schloss erst die Augen, als Salem sie nicht mehr sehen konnte. Dann blickte sie auf seinen dünnen, leblosen Körper, der neben dem Schaukelstuhl lag und von einer karierten Decke halb bedeckt wurde.
»Du Mistkerl!«, schrie Ren Jason an. Sie ging einen Schritt auf ihn zu und zeigte mit dem Finger auf ihn. »Du verdammter Mörder!«
»Keinen Schritt weiter«, rief Jason und richtete die Waffe auf sie.
»Kein Angst, ich komme schon nicht näher, du jämmerlicher Scheißkerl.« Mit erhobenen Händen ging Ren zu Salem, beugte sich hinunter und zog die Decke ganz über seinen Körper. »Er hätte es verdient gehabt, in Würde zu sterben …«
Ren drehte Jason Wardwell den Rücken zu, als sie die Decke über Salem legte. Dabei griff sie mit der rechten Hand an die Rückseite der Kühlbox, riss die Waffe ab, die sie dort angeklebt hatte, und schob sie in ihren Knöchelholster. Dann richtete sie sich wieder auf und wandte sich Malcolm Wardwell zu.
»Jean Transom hat Sie aufgespürt, nicht wahr? Sie kannten sie als Jennifer Mayer. Jean kam hierher, um der Bestie gegenüberzutreten, die sie und ihre elfjährige Freundin Ruth Sleight damals entführt und missbraucht hatte. Jean stieg hier herauf, weil sie wusste, dass sie Sie an diesem abgelegenen Ort finden würde. Ein Ort, an dem sie unter vier Augen mit Ihnen sprechen konnte. Und falls etwas schiefgehen sollte, wären Sie weit von der Stadt entfernt.«
Ren dachte an das Bild, das Ruth Sleight gezeichnet hatte: die mosaikartig angeordneten Fliesen auf dem Boden in Wardwells Geschäft – das Geschäft, für das er die Schlüssel besaß und das jahrelang leer gestanden hatte. Die Fenster
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