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Weiße Stille

Weiße Stille

Titel: Weiße Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Barclay
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Kette verloren hat, sah nicht aus wie vom FBI. Eine FBI-Agentin würde sowieso niemals ins Filly kommen. Deshalb dachte ich, die beiden Frauen hätten sich nur ähnlich gesehen.«
    Hättest du den Text auf dem Plakat gelesen und dadurch erfahren, dass Jean hier zum letzten Mal gesehen wurde …
    »Jean Transom war eine Freundin von mir«, sagte Ren. »Darum werde ich die Kette behalten und sie ihrer Familie geben. Okay?«
    Jo nickte. »Ja, klar. Tun Sie das. Ich wusste sowieso, dass ich die Kette nur für kurze Zeit tragen konnte. Tut mir nur leid, dass sie jetzt kaputt ist.«
    »Sie ist nicht kaputt«, sagte Ren.
    Der »Anhänger« war lediglich eine Tarnung; er hatte von vornherein aus zwei Teilen bestanden, sonst hätte man ihn nicht in einen USB-Port stecken können …
    Ren drehte sich zu Billy um. »Ich muss kurz zu meinem Wagen. Bin gleich wieder da.«
    »Klar, kein Problem. Ist alles in Ordnung?«
    »Sicher.« Ren drehte sich zu Jo um. »Danke.«
    »Gern geschehen«, erwiderte Jo, setzte sich auf den Hocker in der Ecke und starrte traurig auf ihr Dekolletee – dorthin, wo vorhin noch die Kette gewesen war.

    Ren nahm den Laptop aus dem Kofferraum ihres Jeeps, setzte sich auf den Fahrersitz und schaltete die Heizung ein. Dann warf sie die untere Hälfte des feuchten Anhängers – die Kappe desUSB-Sticks – in die Ablage in der Fahrertür und hielt den Stick in die warme Luft des Gebläses.
    Welche Dateien hast du gespeichert, Jean?
    Ren verbrannte sich fast die Finger in der heißen Luft des Gebläses. Nach einer Weile überprüfte sie, ob der Stick bereits trocken war. Sie war sich nicht ganz sicher; dennoch steckte sie ihn in den Port, worauf eine kleine weiße Scheibe auf dem Monitor erschien. Ren klickte sie an. Es waren drei Dateien. Die erste war ein Word-Dokument mit dem Namen »ListeÜbergriffe«. Die zweite war eine Bilddatei mit einer Nummer. Die dritte Datei hieß »BriefanPsych«.
    Die Namensliste überraschte Ren nicht: Es waren die Namen der jungen Mädchen, die missbraucht worden waren.
    Die Bilddatei ließ sich zuerst nicht öffnen. Als es Ren schließlich gelang, erschien ein kleines, verschwommenes Bild, das mit einem Handy aufgenommen worden war. Auf den ersten Blick sah es stark pixelig aus – eine Aneinanderreihung von Formen und Farben –, doch so war es nicht.
    Ren schaute sich das Bild genauer an. Sie hatte es schon einmal gesehen: auf einer Zeichnung in der Akte des kleinen Mädchens, die in ihrem Büro lag. Unter der Zeichnung stand: Gruß und Kuss, Ruth. Und jetzt sah sie dieses Bild auf einem winzigen, schlecht belichteten Foto. Und genau an dem Ort, an dem das Foto gemacht worden war.
    Rens Herz klopfte zum Zerspringen.
    Sie wusste, was das war.
    Plötzlich tauchte ein Gesicht am Wagenfenster auf.
    »Mein Gott!« Ren griff sich erschreckt an die Brust und ließ das Fenster herunter. »Bist du wahnsinnig?«
    »Was tust du so lange hier draußen?«, fragte Billy. »Ist alles in Ordnung?«
    »Ja. Ich arbeite«, sagte Ren und klappte den Laptop zu.
    »Ich habe mir schon Sorgen gemacht.«
    »Bei mir ist alles klar. Wir sehen uns gleich drinnen, Billy, ja?«Ren öffnete die letzte Datei, die den Namen »BriefanPsych« trug. Die Überschrift lautete »Jennifer Mayer«:

    »Jennifer Mayer saß in der verfallenen Kirche in der letzten Reihe, ihr elfjähriger Körper ausgehungert, geschunden und verletzt. Ihre braunen Augen glitten ins Leere, sahen aber mehr, als sie sehen wollte. Sie rutschte an den Rand, klammerte sich an die Lehne der Kirchenbank und durchquerte mit langsamen, unsicheren Schritten auf Zehenspitzen den Mittelgang – eine kleine, gebrochene Ballerina. Sie war nackt, als sie mit dem gequälten Lächeln eines Blumenmädchens die blutbefleckten Blüten streute, die sie aus einem Korb an ihrem Arm nahm.
    Auf dem Altar stand ihr letztes Schulfoto in einem Gesteck aus frischen Lilien. Sie stieg die drei langen Stufen zu dem weichen, roten Teppich vor dem Altar hinauf. Auf einer Säulenplatte aus Marmor stand vor ihr ein Taufbecken mit einem kleinen Rest Weihwasser darin. Sie griff hinein, benetzte ihr Gesicht und wischte den Schmutz weg, sodass die Wunden, die sie nicht spürte, zum Vorschein kamen.
    In Gottes sicherem Haus spielte sich eine merkwürdige, widersinnige Parodie auf die Sakramente ab: Taufe, Hochzeit, Tod und Kommunion mit dem Bösen und die Bestätigung, dass Jennifer nie mehr dieselbe sein würde.
    Sie schaute den vielen Statuen in der Kirche in die Augen.

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