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Weiße Stille

Weiße Stille

Titel: Weiße Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Barclay
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konnte den Kummer der Eltern verstehen. Ich wünschte ihnen so viel Glück, wie ich es mit dir hatte, und hoffte, ihre Mädchen würden nach Hause zurückkehren und eine zweite Chance bekommen, so wie du.« Malcolm lachte bitter und zeigte mit dem Finger auf seinen Sohn. »Ich dachte, es wäre eine Erfolgsstory.« Er schüttelte den Kopf. »Und du bist es gewesen. Du warst verantwortlich für das Leid, das ich damals jeden Tag im Fernsehen zu sehen bekam, während ich hoffte, dass die Mädchen wohlbehalten zurückkehrten und dass ihre Qualen ein Ende hatten. Eines Tages kamen sie tatsächlich zurück. Uns allen wurde erzählt, ihnen sei nichts passiert. Und ich weinte um sie und um dich und dachte, Gott ist gut, Gott hat unsere Gebete erhört.«
    »Was warst du für ein Dummkopf«, spottete Jason in einem Tonfall, in dem sich Ablehnung und Abscheu mischten.
    »Sie sind ein widerlicher Mistkerl!«, fuhr Ren ihn an.
    »Die Frau hat recht. Du bist ein Stück Dreck.« Malcolm Wardwell schlug die Hände vors Gesicht. »Aber ich liebe dich, denn du bist mein Sohn …«
    Ren schüttelte den Kopf. Du armer, trauriger alter Mann. Sie konnte den Blick in Jason Wardwells Gesicht kaum ertragen; dennoch zog es sie an wie ein Magnet, weil sie begreifen wollte, was sich dahinter verbarg.
    »Ich dachte, du wärst ein besserer Mensch geworden«, sagte Malcolm. »Bis du den Job neben der Kindertagesstätte haben wolltest …«
    Jason lachte. »Dachtest du, ich wäre sechsundzwanzig Jahre lang von der Taille abwärts tot gewesen?«
    Ren schauderte. Was für ein abscheuliches Monster.
    »Was hast du getan? «, fragte Malcolm.
    »Was hast du getan?«, erwiderte Jason.
    Ren wunderte sich noch immer über die gegenseitigen Schuldzuweisungen. Es war wie bei dem Mann an einem Tisch an einer Straßenecke, der das Hütchenspiel spielte. Blitzschnell schob er die Becher hin und her, um die Zuschauer zu verwirren. Die Münze lag zwar immer unter einem der drei Becher, doch die Leute wussten nie, unter welchem. Das Publikum konnte nicht gewinnen.
    Malcolm drehte sich zu Ren um. »Hat er vielleicht sogar recht? Ist es meine Schuld, dass er diese schrecklichen Dinge getan hat?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Ren. »Aber er hat es getan, und das allein zählt.«
    Angst kann Hoffnung erzeugen. Angst kann Resignation bedeuten. Und Angst kann verdrängt werden, wenn man keinen schlimmeren Konsequenzen ins Auge sehen muss. Für Jason Wardwell jedoch war das Spiel aus. Für ihn gab es keinen Ausweg mehr. In seinen Augen lag ein Ausdruck hoffnungsloser Angst – ein matter Schimmer, der erkennen ließ, das er zu allem imstande war.

67.
    Jason Wardwell wischte sich mit der Hand über die Stirn und blies den Schweiß von seiner Oberlippe. Rens Gesicht glühte, und ihre Augen waren trocken und brannten. Sie hörte, wie Malcolm Wardwell mühsam nach Atem rang.
    »Schalten Sie wenigstens den Herd aus«, sagte Ren. »Bitte.«
    Jasons Blick wanderte von dem Herd zum Gesicht seines Vaters.
    »Mach schon«, sagte Malcolm.
    Jason ging zum Herd, ohne Ren aus den Augen zu lassen. Als er sich den Bruchteil einer Sekunde abwandte, riss Ren die Glock .27 aus ihrem Knöchelholster und richtete sie auf Jason.
    »Waffe fallen lassen!«, rief Ren.
    Jasons Blick huschte zu seinem Vater.
    »Lassen Sie die Waffe fallen!«, rief Ren noch einmal.
    Wieder glitt Jasons Blick zu seinem Vater, doch er gehorchte und legte die Pistole auf den Boden.
    »Schieben Sie sie mit dem Fuß zu mir«, befahl Ren.
    Sie bückte sich, nachdem Jason ihr die Glock zugeschoben hatte, und hob sie auf.
    Als sie sich aufrichtete, stand Malcolm Wardwell neben ihr und richtete ihre eigene Waffe auf sie.
    »Das ist meine Dienstpistole«, sagte Ren. »Es tut mir leid für Sie, aber ich habe sie nicht geladen, ehe ich hierhergekommen bin.«
    Malcolm drückte ab.
    Es machte klick .
    »Klick«, sagte Ren und wies mit dem Kopf auf Jason. »Na los, stellen Sie sich neben Ihren missratenen Sohn.«
    Malcolm gehorchte. »Sie werden uns nicht erschießen«, stieß er hervor. »Sie sind vom FBI.«
    »Stimmt«, entgegnete Ren. »Aber ich könnte Ihnen beiden eine Kugel in die Eier schießen. Die Konsequenzen nähme ich dann schon auf mich.«
    Malcolm Wardwell ließ den Kopf hängen – ein besiegter, müder alter Mann. Sein Leben lang hatte er seinen Sohn gedeckt, ohne zu begreifen, dass dieser in Parks, auf Spielplätzen und in Schwimmbädern lungerte und nach kleinen Mädchen Ausschau hielt, um seine perversen

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