Weiße Stille
warf Ren einen Blick zu. »Wenn Sie ihm die Fresse poliert haben …«
Ren spähte kurz zu Diaz hinüber und flüsterte Bob dann ins Ohr: »Viel schlimmer … Nennen Sie mich Theseus.«
»Wer zum Teufel ist das?«
Ren lächelte. »Der Mann, der den Minotaurus erschlagen hat.«
Bob runzelte die Stirn und wandte sich dem Häftling zu. »Diaz? Sind Sie so weit?«
»Geben Sie mir ein Handtuch oder irgendwas, damit ich mich sauber machen kann«, jammerte der Häftling auf Spanisch.
»Ich hole den Putzdienst.« Bob kehrte in den Kontrollraum zurück. »Haben Sie schon jemanden gerufen, der die Kamera überprüft?«, fragte er den Beamten an den Monitoren, obwohl er die Antwort bereits kannte.
»Nein, Sir. Es ist seltsam. Sie kamen gerade zurück, da war das Bild plötzlich wieder da.«
44.
Ren verbrachte den Nachmittag damit, sich mit dem Fall des verschwundenen Mark Wilson zu beschäftigen, während Hilfssheriff Mike Delaney Aktenkartons, die hinter der Tür seines Büros standen, durchs Zimmer schleppte und hinter seinem Schreibtisch aufstapelte.
»Ich finde, hinter der Tür waren sie besser versteckt«, sagte Ren, die zu ihm ins Büro kam.
»Vielleicht vor den Blicken der Leute, die in mein Büro kommen«, erwiderte Mike. »Der Loser hinter dem Schreibtisch musste den ganzen Tag auf die Kisten starren. Ab heute muss er das nicht mehr. Ich habe beschlossen, meine Probleme für eine Weile hinter mir zu lassen.«
»Sie sind doch hier in den Bergen zu Hause, Mike«, sagte Ren. »Haben Sie eine Karte vom gesamten Gebiet am Fuße des Quandary Peak und von der Straße, die nach Fairplay führt?«
»Klar.« Mike zog eine Schublade seines Schreibtisches auf, wühlte in ein paar Karten und reichte ihr eine.
»Danke.« Ren kehrte in ihr Büro zurück und breitete die Karte auf dem Tisch aus. Es war ein größeres Gebiet erfasst als auf den anderen Karten, die sie und ihre Kollegen sich bisher angesehen hatten.
Zwischen dem Brockton Filly und Fairplay war auf der Karte ein Gebiet eingezeichnet, das weder einen Namen trug noch mit einer Nummer versehen war, doch es war als Privatgrundstück gekennzeichnet. Ren ging noch einmal zu Mike zurück.
»Wissen Sie, was das hier ist, Mike? Befindet sich hier irgendetwas?«, fragte sie.
Mike schaute auf das Gebiet, das sie ihm zeigte. »Das ist die alte Barger-Brauerei.«
»Barger? Wie Charlie Barger?«
»Ja.«
»Wie kommt ein Arzt an eine Brauerei?«
»Sie gehörte seinem Vater, Emil Barger. Emil hat eine der ersten Brauereien in der Stadt gegründet. Haben Sie schon von der Big-Mountain-Brauerei gehört?«
»Ja.«
»Anfangs braute Emil Barger sein eigenes Bier in seiner Garage, als er in den Ruhestand trat. Das war Ende der Siebzigerjahre. Ein Jahr später kaufte er das Grundstück an der McCullough Gulch Road und ließ dort eine Mini-Brauerei errichten. Zwei Jahre später war sie ein kleines Unternehmen – die Barger-Brauerei. Sie belieferte eine Reihe von Kneipen in der Stadt. Den Leuten schmeckte das Bier. Als Emil starb, erbte Charlie die Brauerei, wirtschaftete sie aber in die Pleite. Die Marke wurde aufgekauft und in Big-Mountain-Brauerei umbenannt. Charlie behielt das Gebäude und das Land. Wie Sie wahrscheinlich wissen, liegt das Firmengelände der Big-Mountain-Brauerei am Stadtrand.«
»Charlies Vater hat offenbar alles, was er angefasst hat, zu Geld gemacht«, sagte Ren, »und alles, was Charlie angefasst hat, ging daneben. Der Chef der Touristeninformation erzählte mir, dass den Bargers früher die halbe Stadt gehört hat. Ich nehme an, das ist heute nicht mehr der Fall.«
»Ich weiß es nicht, Ren. Ich möchte lieber nicht … Charlie ist ein Freund.«
»Ich verstehe. Okay, ich will Sie nicht nötigen, mir irgendetwas zu erzählen. Aber es sieht doch ein Blinder mit dem Krückstock, dass Charlie Bargers Haus verfällt und dass seine Tochter auf Drogen ist.«
Mike warf ihr einen betrübten Blick zu.
»Tut mir leid«, sagte Ren. »So hätte ich es nicht ausdrücken sollen. Aber wenn man sich in dem Haus aufhält … spürt man die traurige Stimmung in jedem Winkel.«
Mike seufzte. »Es stimmt schon, Shannon Barger ist drogenabhängig, und Charlie hat Schulden. Er hat dieser kleinen Schlampe – Gott vergib mir – seit ihrem sechzehnten Lebensjahr immer wieder aus der Klemme geholfen.«
»Sechzehn? Wie alt ist sie jetzt?«
»Fünfundzwanzig.«
»Du meine Güte. Ich habe sie auf über vierzig geschätzt.«
Mike nickte. »Die verdammten Drogen.
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