Weiße Stille
eine Lichtung führte, blieb Ren stehen und genoss den Blick ins Tal.
»Es ist so schön hier oben …«, sagte sie und ging dannweiter. »Ich glaube, ich schaffe es nicht, mir Jeans Leiche anzuschauen … nicht in dem Zustand, in dem sie sich vermutlich befindet.« Ren zögerte kurz. »Das wird zu schwer für mich.«
»Das müssen Sie ja auch nicht.«
Sie lächelte nachsichtig.
»Den Versuch war es wert«, sagte Mike und drückte ihre Schulter. »Kommen Sie. Bringen wir es hinter uns.«
Weiter oben saß einer der jungen Detectives mit einer attraktiven, sportlichen Blondine auf einem Baumstamm. Die junge Frau hatte sich zur Seite gebeugt und richtete sich soeben wieder auf. Sie war leichenblass, und ihre Augen waren gerötet. Sie trug leichte Wanderkleidung, und um ihre Taille war eine Fliesjacke gebunden. Ihre Sneakers waren fleckig von getrocknetem Erbrochenem.
Der Detective stand auf. »Diese junge Dame hat die Leiche gefunden«, sagte er zu Ren und wandte sich dann der jungen Frau zu. »Die Leute sind vom FBI.«
»Es tut mir leid, dass Ihnen der Anblick nicht erspart geblieben ist«, sagte Ren. »Wie haben Sie die Tote entdeckt?«
»Ich musste mal, und da … da habe ich die Leiche gesehen«, sagte die Frau. »Ich … ich …« Die junge Frau stöhnte, beugte sich ins Gestrüpp und erbrach sich erneut.
Rens Handy klingelte. Es war Paul Louderback.
»Was liegt an, Paul?«
»Gary hat mich angerufen.«
»Ja. Ich bin gerade auf dem Weg zum Fundort.«
»Gut. Genau darum wollte ich dich gerade bitten.«
Ren hörte im Hintergrund ein Kind schreien.
»Tut mir leid«, sagte Paul. »Hier bei uns geht es zu wie in einem Tollhaus. Wir packen gerade für Breckenridge.«
»Was?«
»Um diese Zeit fahren wir immer dorthin, um an den Gold Panning Championships teilzunehmen.«
»An den was?«, fragte Ren.
»Die Goldwasch-Meisterschaften. Die Kinder sind ganzverrückt darauf. Und weißt du was? Meist finden Sie sogar ein paar winzige Nuggets.« Ren hörte das Lächeln in seiner Stimme. »Sie wissen nicht, dass ihr Daddy sie immer in ihre Körbe streut, wenn sie gerade mal nicht hinschauen.«
»Du Schwindler«, sagte Ren.
»Was tut man nicht alles für die Kinder.«
»Ja. Ich rufe dich an, wenn ich mehr weiß«, versprach Ren.
»Okay. Viel Glück.«
Ren und Mike folgten dem gewundenen Pfad durch den Wald. Nach vierzig Minuten gelangten sie an den Rand einer sattgrünen Wiese, die sich linker Hand vom Hauptweg talwärts neigte. Sie duckten sich unter dem Absperrband und gingen zur Fundstelle des Leichnams.
Denis Lasco stand auf und winkte. »Hat jemand Wasser?«, fragte er.
»Sicher«, sagte Ren und reichte ihm ihre Flasche.
»Hallo, Ren«, sagte Bob. Sein gebräuntes Gesicht war verschwitzt und voller roter Flecken. »Frauen haben immer Kleenextücher dabei, oder?«
»Ich nicht«, konterte Ren. »Sie müssen Ihr Hemd nehmen. Wie geht es Ihnen?«
»Ich habe vierzehn Pfund verloren«, sagte Bob und schlug sich auf den Bauch.
»Und ich glaube, ich habe diese vierzehn Pfund gefunden«, erwiderte Ren und schlug sich auf die Hüften.
»Was man findet, kann man behalten«, sagte Bob. »Haben Sie sonst noch was gefunden, was ich verloren habe? Meine Selbstachtung? Meine Würde? Mein Hoffnung auf eine Beförderung?«
Alle lachten, verstummten dann aber verlegen.
»Okay«, sagte Ren. »Genug gescherzt. Ich fürchte, jetzt wird es ernst.«
Bob lächelte betrübt. »Warten Sie erst mal, bis Sie das da sehen.« Er zeigte auf den Leichnam, der hinter ihm lag.
Noch war Ren ziemlich gelassen, doch die Realität holte sie rasch ein, als sie die Leiche sah. »Allmächtiger. Das ist ja …« Sie presste eine Hand auf den Mund und drückte gleichzeitig beide Nasenlöcher zu.
»Mein Gott«, murmelte Mike, der ihr folgte und sich sofort abwandte.
Sie hatten Jean Transoms Leiche einmal verloren. Die Natur hatte sie ihnen entrissen und monatelang versteckt. Und sie hätten sie fast ein zweites Mal verloren, weil sie der Sonne, kleineren Raubtieren und den Insekten ausgesetzt gewesen war. Ren hatte solche Leichen schon mehrmals gesehen, die aussahen, als gehörte jede Hälfte zu einem anderen Körper. Eine Hälfte der Leiche war anderen Elementen ausgesetzt als die andere – die eine Seite war wie durch einen Heizkörper mumifiziert, während die andere der Kälte ausgesetzt war; ein Kopf auf einem Kissen, während der Körper unter einer Heizdecke schmorte.
Die linke Seite von Jean Transoms Leiche lag unter einem
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